
Ich sitze in der Abendsonne auf dem Maeuerchen vor dem Hosteltor und rauche eine Zigarette. Der Himmel faerbt sich langsam rosa ein. Ein Schweizer, der im Hostel wohnt, spielt mit einem Haufen bosnischer Jugendlicher Basketball. Zwei weitere Grueppchen von Kindern und Jugendlichen verteilen sich ueber den Platz. Lautes Lachen, Schreien und Triezen erklingt von dort unten. Von den zwei nahegelegenen Moscheen beginnen die Muezzine zum Abendgebet zu rufen. Es ist als wuerfen sie sich die Zeilen aus dem Koran gegenseitig zu. Auf dem Asphalt am Rande des Basketballplatzes stehen in bunten froehlichen Farben die Worte „Strpljenje – Uzdržljivost – Prijaznost“ – Geduld – Maessigung – Freundschaft – und auf der anderen Seite „Ljubav – Radost – Dobrota“ – Liebe – Freude – Guete. Hinter dem Platz ragen Brueckenpfeiler aus dem Wasser, die keinen Steg mehr tragen. Es dunkelt ganz langsam, Muetter rufen ihre Kinder von Balkonen nach hause, „ajde!“, „dođi!“ Es liegt Frieden ueber Mostar, der geteilten Stadt.
Ich gehe noch einmal in das ausgebombte Bankgebaeude, das alle nur als „Snipers‘ Nest“ bezeichnen. Direkt unter mir liegt das frustrierend bunt restaurierte Gebaeude des Gymnasiums. Es wirkt deplaziert. Aber welche Schule, die Segregation betreibt, koennte schon so wirken, als gehoere sie dahin, wo sie steht. Im Kanton Herzegovina-Neretva gehen bosnische und kroatische Kinder und Jugendliche in unterschiedliche Klassen. Sie haben unterschiedlichen Sprach- und Geschichtsunterricht. Sie lernen, dass sie sich unterscheiden. Sie lernen, die Spaltung der Ethnien in ihrer Gesellschaft fuer normal und richtig zu halten. Der Gedanke tut mir in der Seele weh.
Morgens und abends ist es im Hostel am geschaeftigsten. Da kommen Leute an und fahren ab, sie brauchen Fruehstuck, es gilt unterschiedliche Taxis, Pick-ups und Drop-offs zu organisieren, Schluessel werden eingesammelt und ausgeteilt. Batas und Majdas Mutter, sie heisst fuer uns alle nur Mama, sorgt fuer die Verpflegung. Heute morgen gibt es Ruehrei, Tomaten, frische Feigen, Brot mit cremiger Butter und Marmelade. Das beste kommt zum Schluss: Bosanska kahfa, bosnischer Kaffee. Es gibt ein ganzes Ritual dazu, wie dieses koestliche Getraenk zu geniessen ist. Das macht die Bosanska kahfa zum sozialen Ereignis mehr als nur zu einem Wachmacher am Morgen. Mama serviert mit so viel Liebe, dass auch die zoegerlichsten zugreifen. Bosnische Gastfreundschaft und das Lebensgefuehl des Balkans eroeffnen sich im morgendlichen Fruehstuecksritual. Es macht dieses Hostel so einzigartig, dass die Familie versucht, das alles auch den Reisenden zu eroeffnen.
Juli 11, 2010 at 9:35 pm
du rauchst eine zigarette???bitte was???ich konnte mich auf den rest des textes leider nicht mehr konzentrieren…:P
Juli 11, 2010 at 10:59 pm
hihi, das klingt so schön verliebt: "die Bosanska kahfa" – so wie Polen nicht versteht können, dass Polska im Deutschen nicht weiblich ist… :)Aber das mit der Zigarette hab ich auch gedacht… obwohl sich Der Anfang so schön romantisch liest: "Ich sitze in der Abendsonne auf dem Maeuerchen vor dem Hosteltor …"Davon abgesehen: Tolle Bilder, ich will mehr!!! 🙂
Juli 11, 2010 at 11:02 pm
Oh, und gibt's noch eine Übersetzung von deinem neuen Motto "Svakoga dana u svakom pogledu sve više i više napredujemo."?
Juli 12, 2010 at 10:42 am
So ist das nun. Alles hat seine Zeit, auch die Zigaretten.Polen hab ich erst ganz wenige getroffen, Annelie. Aber gestern hab ich mit einer Britin, die eine polnische mama hat, polnisch gesprochen. ich sage jetzt immer "da" wenn ich eigentlich "tak" sagen muesste…Das Motto ist aus einem Emir Kusturica Film. Bata hat es mir neulich beigebracht. Es bedeutet: "Jeden Tag kommen wir in jeder Hinsicht immer weiter voran."
Juli 16, 2010 at 12:06 am
Hey Mariella! Wir kennen uns nicht, bin zufällig auf deinen Blog gestoßen, weil ich diesen Sommer auch ein bißchen den Südosten Europas bereisen werde. Du schreibst sehr inspirierend und ergreifend, die Schönheit, Zerissenheit und Melancholie des Balkans ist mir beim Lesen Deiner Texte zum Greifen nah. Danke dafür! Alles Gute für Dich und weiterhin Kali Taxidi! liebe Grüße, Anne aus Aschaffenburg
Dezember 10, 2012 at 11:00 pm
Vielen Dank – ich hoffe, auch deine Reise war alles, was du dir erträumt hast!