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Brückenschläge und Schlagworte

Schlagwort: fortress (Seite 2 von 2)

Sofia / Prishtina / Peja / Prizren / Niš

Von Istanbul nach Sofia zu kommen ist ein Schock. Nach der menschlichen und klimatischen Waerme in der Tuerkei ist die bulgarische Hauptstadt grau und kalt. Ich habe zwar im Nachtbus gut geschlafen, bin aber einfach kaputt von der Reise – ich bin Istanbul-verkatert. Ich schlafe sogar fuer 20 Minuten am Anfang des Fussballspiels Deutschland – England einfach ein. Dafuer bin ich abends aufgedreht und feiere mit vielen Reisenden im Hostel bis spaet in die Nacht. Mein Rhytmus ist voellig durcheinander. Auch das gehoert zum Reisen dazu.
Am zweiten Tag in Sofia schaue ich mir die Stadt an. Sie ist viel huebscher als alle immer sagen, und die Sonne scheint auch wieder.

Die gelbe Kopfsteinpflasterstrasse, die an allen huebschen Gebaeuden vorbeilaeuft, zwingt zur Referenz auf den Zauberer von Oz. Mir fehlen nur Dorothys rote Schuhe. Abends gibt es wieder viele spannende Geschichten im Hostel auszutauschen. Ein Schwede radelt von Stockholm nach Jordanien. Ein Amerikaner ist gestrandet, weil er sein Visum fuer die Tuerkei ueberschritten hat und nun nicht zurueck kann. Vier Maedels aus Hamburg haben gerade Abitur gemacht und strahlen die besondere Lebensfreude aus, die einem das Bewusstsein von Freiheit nach dem Schulabschluss gibt.

Am naechsten Tag fahre ich nach Skopje. An der Grenze zu Mazedonien behalten sie das erste Mal meinen Pass ein. Sie winken mich raus und zeigen immer wieder auf das Deckblatt. Ja, da steht „Reisepass“ drauf… Ich verstehe gar nicht, was los ist, bis einer von den Grenzern zum anderen etwas sagt, was ich deute als: „Und in Albanien war sie auch!!“ Ich denke: Mann, so ein Mist, daran wollen sie sich doch jetzt nicht aufhaengen? Ich versuche auf serbisch meine Reiseroute zu erklaeren. Endlich winken die Grenzer ab und geben mir meinen Pass wieder. Viele Mitreisende fragen mich auf deutsch, ob alles klar ist, und regen sich fuerchterlich auf. „Keiner versteht unsere Grenzbeamten,“ sagt eine junger Mann, „das ist nicht nur die Sprachbarriere fuer dich.“ In Skopje bleibe noch einmal eine Nacht bei Mariska. Sie hat noch zwei deutsche Maedels zu besuch und wir schnacken den Abend so weg. Am Tag darauf geht es in den Kosovo.

Von Skopje nach Prishtina zu kommen ist ganz einfach. An der Grenze fragt mich der Beamte nur kurz was ich hier mache und wuenscht mir dann sehr hoeflich einen schoenen Aufenthalt.
Prishtina ist grau und hat ein fieses Verkehrschaos, aber die Stimmung in der Fussgaengerzone ist, als waere Jahrmarkt. Ueberall wird sinnloses Spielzeug verkauft und es faellt sofort ins Auge, dass der Altersdurchschnitt in diesem Land bei 25 liegt. Aeltere Menschen scheint es nicht zu geben, geschweige denn alte. Kinder dagegen – ueberall! Sie rennen und spielen und schreien, dass es eine Freude ist. Englisch ist allgegenwaertig, das Land ist voll von internationalen jungen Leuten, die fuer die NGOs taetig sind, die sich hier nach dem Krieg angesiedelt haben. Die Kosovaren in den Cafes lachen auch wie Kinder – unverschmutzt, ehrlich, offen.
Mein Eindruck ist vor allem: Das hier ist nicht Serbien. Es ist auch nicht Albanien. Es ist Kosovo. Vermutlich sagen die Serben, dass man in anderen Laendern auch regionale Unterschiede bemerkt, aber Kosovo einfach weiter als Serbien zu bezeichnen erscheint mir absurd. In Peja und Prizren, den zwei Staedten, die ich besuche, bekomme ich allerdings auch ausgebombte serbische Haeuser zu Gesicht. Da wird es leichter, auch diese Perspektive zu begreifen. Es gibt in dieser Region nie das reine Opfer und den reinen Taeter. Alle Seiten haben sich gegenseitig unendliches Leid zugefuegt.
Peja erinnert an Ulcinj in Montenegro und an Novi Pazar in Serbien. Ich trinke Cappuccino in einem Strassencafe. Es giesst in Stroemen. Vor der Terrasse ist ein Brunnen. Das Wasser zum Kaffee holt der Kellner mit dem Glas von dort, er haelt es einfach in den Strahl und stellt es mir triefend nass auf den Tisch. Dazu grinst er wie ein kleiner Junge. Dann faellt der Strom aus. Alles ist chaotisch. Keiner stoert sich daran.

Prizren ist die huebscheste Stadt, die ich in Kosovo sehe. Ich steige mit einem Amerikaner, den ich im Bus kennen lerne, hoch zur serbisch-orthodoxen Kirche. Meterhoher Stacheldraht und KFOR-Wachschutz. Wir duerfen nicht hinein.

Wieder unten in der Stadt zeigt uns der Pfarrer, den zwei Jugendliche fuer uns herbeigeholt haben, die katholische Kirche. Dort ist kein Wachschutz noetig, „aber,“ sagt der Pfarrer in exzellentem Deutsch, „meiner Meinung nach brauchen auch die serbischen Kirchen keinen Wachschutz.“ Er erzaehlt ein bisschen schuechtern, aber sehr lebendig von der Kirche und der Gemeinde. Im Kirchhof bluehen gelborangerot die Rosen.

In jedem Cafe in Prishtina lerne ich jemanden kennen. Das Fussballspiel gegen Argentinien schaue ich im Irish Pub zwischen lauter Deutschen, es ist wie zuhause, alle liegen sich in den Armen und singen und jubeln und fluchen. Abends gehen wir auf Parties von den Kollegen meiner Couchsurfing-Gastgeberin Claire, essen herrliches albanisches Essen oder trinken Kaffee in einem internationalen Buchladen mit Gastronomie. Krieg? Bitte, das ist 10 Jahre her! Am eindruecklichsten erinnern die Bilder der Vermissten an einem Bretterzaun in der Innenstadt und die Denkmaeler, an denen man im Bus auf dem Weg nach Peja oder Prizren vorbeifaehrt, daran.

Das Lebensgefuehl in diesem Land trifft mich als zukunftsorientiert und froehlich. Hier muss man alle paar Jahre hinkommen und schauen, wie sich alles veraendert – das geht sicher rasend schnell!

Von Prishtina fahre ich nach vier Tagen ueber Skopje nach Niš in Serbien. Die Sonne brennt, als ich vom Busbahnhof zum Hostel laufe – ich frage drei verschiedene Leute nach dem Weg, alle auf serbisch. Keiner kann mir helfen, aber alle reden mit mir und verstehen mich gut und ich finde das Hostel dann schliesslich von ganz alleine. Ich gehe frueh schlafen, ich habe noch was aufzuholen.
Am naechsten Tag ist das Wetter wieder wunderbar. Ich liege zwei Stunden auf einer Bank in der Burganlage und werde braun. Danach trinke ich am Ufer des Flusses Kaffee. Neben mir sprechen sie in einer Gruppe von etwa 10 jungen Leuten deutsch. Dann fangen sie an zu singen! Mehrstimmig! A capella! Mit Stimmgabel und allem! Natuerlich komme ich sofort mit einem von den Jungs ins Gespraech. Wir singen gemeinsam Brahms. Sie sind von einem europaeischen Jugendchor und haben am Samstag ein Konzert hier in Niš. Abends gehe ich erst mit den anderen Leuten aus dem Hostel essen, danach mit den Chorleuten was trinken. Ich kann mich nur immer wieder fragen, wie Leute auf die Idee kommen koennen, dass ich einsam oder gelangweilt sein koennte. Absurd.

Veliko Tarnovo / Varna / Burgas

Ich kann mich kaum erinnern, wann ich das letzte Mal mit dem Zug gefahren bin, ich glaube es war zwischen Sarajevo und Mostar. Zwischen Plovdiv und Stara Zagora faehrt ein alter deutscher Regionalexpress. Es ist immer wieder seltsam, in einem fremden Land in einem Zug, Bus oder einer Strassenbahn aus Deutschland zu sitzen. Meistens sind die Schildchen – „Nicht aus dem Fenster lehnen“, „Notbremse nur im Notfall benutzen“, „Waehrend der Fahrt nicht mit dem Fahrer sprechen“- unuebersetzt oder nur provisorisch mit bedruckten Aufklebern ueberklebt.
Wie wir es aus dem Regionalexpress von jeher kennen, gibt es auch hier nicht ausreichend Platz fuer Gepaeck. Mein Rucksack ist staendig im Weg und faellt auch immer um. Mein Sitznachbar fragt mich schliesslich „Na gore?“- „Nach oben?“ und zeigt auf ein Gepaecknetz, und ich nicke engagiert. Er guckt verwirrt. „Ne?“- „Nein?“ Ach du meine Guete, das geht hier ja andersrum mit dem Kopfschuetteln und dem Nicken! Ich sage schnell: „Da, da!“ und nicke wieder – ach nein, wieder falsch! und wechsele dann zum Kopfschuetteln. Ich glaube der arme Mann haelt mich fuer ein wenig seltsam, aber mein Rucksack landet schliesslich auf der Ablage. In Stara Zagora muss ich umsteigen, die Zeit ist knapp, ich laufe auf das zweite Gleis und frage einen Schaffner, der da neben dem Zug sitzt: „Veliko Tarnovo?“ Er schuettelt den Kopf und sagt „Tarnovo, da!“ Gott sei Dank ergaenzt er die Geste um die Worte, auf die ich mich immerhin verlassen kann, sonst waere ich sicherlich endgueltig verwirrt am Bahnsteig stehen geblieben.

Veliko Tarnovo ist heiss. Jeder andere Eindruck verschwindet zunaechst hinter den Temparaturen, es sind wohl an die 40 Grad. Trotzdem mache ich mich nachmittags auf, um auf die Festung Tsaravets zu klettern. Sie ist riesig und ausgesprochen gut erhalten.

Am hoechsten Punkt steht eine Kirche, die mich schwer beeindruckt. Sie ist mit Fresken aus den 1980er Jahren geschmueckt. Ich tue mich sonst so schwer mit moderner Kunst, aber die Waende hier sprechen mich wirklich an. Neben christlichen Motiven finden sich wohl auch Bezuege zur bulgarischen Geschichte. Ich kenne mich leider viel zu wenig aus um irgendetwas zuordnen zu koennen, aber das ist nicht so schlimm. Die Figuren sprechen ihre eigene Sprache, mit der sie Leid und Triumph zum Ausdruck bringen. Abends gibt es im Hostel das Fussballspiel gegen Australien. Ich gehe nach dem 4:0 ausgesprochen gutgelaunt zu Bett.
Am naechsten Tag organisiert das Hostel einen kleinen Trip zu einem nahen Kloster, wo wir versuchen, Fresken bestimmten biblischen Geschichten oder mythologischen Figuren zuzuordnen und schliesslich dahinterkommen, dass das grosse Bild an der Klosterwand den Wechsel der Jahreszeiten darstellt. Alles ist hier von aussen ein bisschen heruntergekommen, aber das Innere der Klosterkirche strahlt im ganzen traditionellen Glanz. Anschliessend fahren wir zum Hotnica-Wasserfall. Wir schwimmen im gruenen Wasser des Flusses und springen die zwei oder drei Meter den Wasserfall hinunter. Eine herrliche Erfrischung!

Ich mache mich zwei Tage spaeter fast etwas wehmuetig auf nach Varna – obwohl oder gerade weil ich in Veliko Tarnovo noch lange nicht alles gesehen habe, hat es mir dort ausgesprochen gut gefallen und ich haette noch viel mehr Zeit dort verbringen koennen. Die Kueste lockt jedoch mit ihren etwas kuehleren Temparaturen. Meine Gastgeberin Boyana kommt mich in Varna vom Bus abholen und wir laufen zu ihrem am Rande des Zentrums gelegenen Appartment, das sie mit ihrem Freund Niki teilt. Vom Balkon aus sehe ich schon das Schwarze Meer, da haelt es mich nicht mehr und ich laufe gleich in die Stadt. Ich bin erstaunt ueber die Schoenheit des Zentrums. Es erinnert mich stark an Opatija in Kroatien und hat viel von oesterreich-ungarischem Kurort-Pomp – wie kann das sein? Die Bulgaren haben das von osmanischer Architektur gepraegte Zentrum Ende des 19. Jahrhunderts nach westlichem Vorbild umgebaut – alles fuer die Distanzierung vom „Joch der tuerkischen Herrschaft“. Niki spricht, vielleicht in Ermangelung besserer Englischkenntnisse, sogar von „Slavery“, wenn es um die tuerkische bestimmte Vergangenheit Bulgariens geht.
Und schliesslich erreiche ich durch den Primorski Park, den Park am Meer, den Stadtstrand von Varna und sitze am Ufer des Schwarzen Meeres. Es ist graugruener als das Mittelmeer und mir dadurch sehr vertraut. Wild, aber bestaendig. Aus irgendeinem Grund ist mir seine Endlichkeit sehr bewusst. Am Ufer von Ostsee und Mittelmeer erscheint mir der Horizont in aller Regel unbeschreiblich weit, als kaeme niemals Land dahinter. Hier denke ich unmittelbar daran, dass auf der anderen Seite des Meeres Asien liegt und die Weiten Russlands. Es weht ein leichter Wind, der mir den Kopf frei macht. Das Mittelmeer ist wunderbar, es ist ein Urlaubsmeer zum Schwimmen und Strandliegen. Das Schwarze Meer, wie meine geliebte Ostsee, ist zum Spazierengehen und Horizontgucken. Es bringt mich anders zur Ruhe.

Am naechsten Tag verbringe ich den Morgen am Strand und nachmittags gucken Boyana, Niki und ich das Spiel gegen Serbien, naja, reden wir nicht weiter darueber. Niki geht anschliessend mit mir an den Hafen. Er erklaert mir viel bulgarische Geschichte und wir schauen den Segelschiffen zu, die mit bunten Spinnaker in den Hafen einlaufen.

Die naechste Station heisst Burgas. Es ist eın beschauliches Staedtchen mit Kuestenflair, in dem ich zwei ruhige Tage mit viel Fussball und guten Gespraechen mit meiner Gastgeberin Dora und ihrer Cousine Galina verbringe. Von dort bin ich heute nacht nach Istanbul gereist, das einen eigenen Blog verdient. Es ist bislang noch unbeschreiblich. Mein Bild muss sich erst noch festigen. Soviel vorweg: Ich finde es phantastisch.

Mavrovo / Skopje / Štip / Kloster Rila / Plovdiv

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Von Ohrid aus moechte ich eigentlich ueber den Sueden Mazedoniens in Richtung Bulgarien reisen, aber ich finde keine Couchsurfer, es gibt keine Hostels und die Verbindungen mit Bus und Bahn sind fast unmoeglich herauszufinden. Kurz bin ich mal so richtig genervt. Ich habe das Hostel schon bezahlt und mein Zimmer geraeumt und weiss noch immer nicht wo ich als naechstes hin soll. Von einer Minute auf die andere entscheide ich dann, ueber das Kloster Bigorski im Mavrovo Nationalpark nach Skopje zu fahren.
Ach, der Transport hier unten… Diese Route bedeutet ein Taxi von Ohrid nach Struga, einen Furgon von Struga nach Debar und noch ein Taxi von dort zum Kloster. Der Furgonfahrer ist auch wieder ein bisschen aufdringlich und erzaehlt mir eine halbe Stunde lang wie huebsch ich bin. Langsam gewoehne ich mich ja fast an Avancen von uebergewichtigen Mittfuenfzigern und kuemmere mich schon gar nicht mehr richtig darum. Vielmehr geniesse ich den Blick auf die wunderbare Landschaft vom Mavrovo-Nationalpark. Mir war gar nicht klar, dass wir da durchfahren – und ploetzlich finde ich mich inmitten einer der schoensten Landschaften meiner Reise wieder. Gruene Huegel, tiefe Schluchten, und unter uns im Tal die Radika, ein Fluss von einer sensationell blauen Farbe. 

Das Kloster Jovan Bigorski hat zwar eine herrliche Ikonostase mit wunderschoenen Schnitzereien – da der Grossteil der Gebaeude aber vor wenigen Jahren niedergebrannt ist, ist das ganze Gelaende eine grosse Baustelle und von stiller Klosteratmosphaere ist wenig zu spueren. Umso froher bin ich um die Fahrt vom Kloster nach Skopje, die weiter durch Mavrovo fuehrt. In der Abendsonne sind die dichtbewaldeten Huegel noch gruener und die Radika noch blauer.

In Skopje couchsurfe ich wieder – das erste Mal seit Serbien. Meine Gastgeberin Mariska holt mich vom Busbahnhof ab. Sie kommt aus den Niederlanden und macht in Skopje einen Europaeischen Freiwilligendienst – sofort fuehle ich mich an meinen eigenen EFD in Polen erinnert. Mariska teilt die Wohnung mit zwei Slowaken. Ueberall an den Waenden haengen Post-its mit mazedonischen Vokabeln und grosse Flipcharts mit Projektplanungen. In Ohrid stand mir das Couchsurfen etwas bevor, ich war doch sehr ans Hosteln und die staendige Gesellschaft anderer Reisender gewoehnt. Kaum mache ich es mir aber auf Mariskas Couch bequem bin ich wieder vollkommen begeistert von der Gastfreundschaft und dem Erfahrungsreichtum, den diese Internetgemeinschaft ermoeglicht.
In Skopje ist es heiss. Ich verbringe den ersten Vormittag hauptsaechlich damit, die Fussgaengerzone auf und ab zu schlendern, Kaffee zu trinken, Eis zu essen und Leute zu beobachten. Ich sitze dazu lange auf einer Parkbank neben dem Mutter-Theresa-Haus – die ist hier geboren und allgegenwaertig mit kleinen Denkmaelern und in Informationsbroschueren. Nachmittags treffe ich Mariska und sie zeigt mir das tuerkische Viertel, die Čaršija, und wir klettern auf die verwilderte Burg Kale und schauen uns den Sonnenuntergang an. 

Skopje ist lebendig und energiegeladen. Dass es nicht besonders huebsch ist, macht ueberhaupt nichts, ich fuehle mich wohl. Zum Beispiel am Parlament – ein unglaublich haesslicher sozialistischer Bau, aber davor wehen, ich habe gezaehlt, 25 mazedonische Flaggen am Strassenrand. Die gelbe Sonne auf rotem Grund gibt dem Ort ein froehliches und stolzes Flair.
Skopje ist deswegen so gezeichnet von sozialistischer Architektur, weil es in den 1960er Jahren bei einem Erdbeben weitgehend zerstoert worden ist. Nun baut sich die Stadt ihre Geschichte neu, ueberall entstehen Gebaeude, die alt aussehen, es aber nicht sind. Am Anfang der zentralen Bruecke ueber den Vardar stehen gewaltige Statuen von Goce Delčev und Dame Gruev, zwei mazedonischen Freiheitskaempfern. Sie sind monumental und sehen aus als seien sie mindestens hundert Jahre alt – aber tataeachlich stehen sie dort erst seit zwei Monaten. Ich nehme an, dass Mazedonien als ein Land, das eigentlich keine Geschichte als selbststaendiger Staat hat, solche Dinge braucht, um sich selbst zu definieren. Es ist ja ein zutiefst zerrissenes Land, das Konflikte mit allen angrenzenden Staaten hat. Mit den sonst so schwierigen Serben sind die Beziehungen noch am besten – Albanien, Griechenland und Bulgarien haben alle ein aeusserst gespaltenes Verhaeltnis zu dem kleinen Nachbarn.
Am Abend gehen Mariska, ihre Mitbewohner und ich zum MakeDox Dokumentarfilmfestival und schauen einen Film ueber Mostar, der mich nur einmal mehr daran erinnert, wie tief sich diese Stadt in meinem Herzen verankert hat. Anschliessend uebersiedeln wir auf den Hauptmarkt, dort ist Strassenfest und herrliche Musik von einer italienischen Band mit einer E-Geige, einem Sopransaxophon, Gitarre und Bass – irgendwo zwischen Klezmer, Ethnic, Balkanfolk und Ska. Wir tanzen mit fremden Menschen bis nachts um 2.

Am naechsten Morgen fahre ich mit dem Bus nach Štip und treffe dort meinen Gastgeber Dejan. Wir versuchen meine weitere Route zu planen und es stellt sich heraus, dass der Bus nach Bulgarien, den ich nehmen will, nur nachts um 11 faehrt. Daher schlafe ich nur nachmittags 2 Stunden auf Dejans Couch und verbringe keine ganze Nacht in Štip. Die Stadt ist aber auch wirklich nicht sehr spannend – dafuer die Gespraeche mit Dejan umso mehr. Er hat nur ein Bein, faehrt aber gerade in Etappen mit dem Fahrrad um die Welt, Europa, Asien und Suedamerika hat er schon abgehakt. Wir schnacken so die Zeit davon und abends bringt er mich dann zum Bus.

Der Grenzuebergang nach Bulgarien ist definitiv ein EU-Grenzuebergang. Das erste Mal auf der Reise muss mein Gepaeck oeffnen, sie wollen viermal meinen Pass sehen und das ganze nachts um 2 mitten im Nirgendwo auf einem Bergpass. Mir ist kalt und ich bin muede. Trotzdem beschaeftigt mich am meisten, wie das Ganze die Mazedonier nerven muss. Jahrelang war der Grenzverkehr hier sicher voellig unspektakulaer, und dann brauchten die Mazedonier zwischen 2007 und Anfang des laufenden Jahres ploetzlich sogar Visa fuer Bulgarien!
Ich lande nachts um 4 in Blagoevgrad, wickele mich am Busbahnhof in meinen Schlafsack und doese zwei Stunden vor mich hin. Um 6 stehe ich auf und suche lange nach einem Geldautomaten und dem richtigen Busbahnhof. Schliesslich kriege ich um 7 einen Bus nach Rila und von dort aus einen zweiten zum Kloster Rila.
Rila ist ein friedlicher, ein zauberhafter Ort. Die Sonne scheint so schoen auf die herrliche Klosterkirche und die angrenzenden Klostergebaeude, und die bewaldeten Huegel des Rilagebirges sind voller Vogelgesang. 

Der Bergfluss donnert am Kloster vorbei ins Tal. Es ist so friedlich, dass einem die Geraeusche der Natur wie Laerm vorkommen – aber ein herrlicher Laerm! Ich beziehe fuer eine Nacht eine Zelle mit einer Pritsche, einem Waschbecken mit kaltem Wasser und einer geschnitzten und bemalten Holzdecke, die dem kargen Zimmerchen eine einfache Schoenheit verleiht, wie sie vielleicht nur einem Kloster angemessen ist. Ich wandere ein bisschen um das Kloster herum, verbringe eine lange Zeit in der Kirche und singe schliesslich eine Weile am Ufer des Flusses, in dessen eiskaltes Wasser ich natuerlich auch meine Fuesse hineinhalte. Um 7 gehe ich schlafen.

Ich erreiche Plovdiv am naechsten Nachmittag, und das erste Mal auf der Reise moechte ich am liebsten rueckwaerts wieder zurueck in den Bus fallen, der so schoen kuehl ist mit der Klimaanlage – es ist wahnsinnig heiss. Ich esse ein Eis und treffe meinen Gastgeber Ivan an der Hauptpost. Wir fahren zu ihm und seiner Freundin Nelly nach hause, gehen abends essen und haben einen sehr entspannten Abend.
Am naechsten Morgen laufe ich in die Stadt. Ivan und Nelly halten mich fuer verrueckt, weil ich ankuendige, vermutlich den ganzen Tag ausser Haus zu sein, trotz der Hitze. 

In der Tat suche ich mir zwischen antikem Amphitheater, den wunderbaren Gebaeuden in der Altstadt aus der Zeit der Bulgarischen Nationalen Wiedergeburt im 19. Jahrhundert und der Fussgaengerzone haeufig ein schattiges Plaetzchen, um ein paar Minuten auszuruhen, und nachmittags gehe ich Klamotten einkaufen und schaue in einem Irish Pub Weltmeisterschaft. Anders ist die Hitze einfach nicht zu ertragen.

Ich kann grundsaetzlich nicht bestaetigen, dass die Bulgaren alle grummelig und unfreundlich sind. In einem Internetcafe in Plovdiv lasse ich meine Wasserflasche stehen und ein Maedchen kommt mir, trotz 35 Grad, zwei Kreuzungen hinterhergelaufen um sie mir nachzutragen. Der Busfahrer zwischen dem Kloster in Rila und dem Dorf hilft mir, den schnellsten Weg nach Plovdiv herauszufinden und bewahrt mich so vor 4 Stunden Wartezeit in Blagoevgrad. Das Land kommt mir ansonsten westeuropaeischer vor, vor allem was die Standards im Transportwesen betrifft. Ich bin sehr gespannt auf die Kueste, die sicher deutlich touristischer sein wird. Vor allem freue ich mich auf das Schwarze Meer. Ich habe ja eine besondere Beziehung zur Ostsee, und das Mittelmeer ist mir auch so vertraut. Wie wohl diese neue Kueste mit ihren neuen Horizonten auf mich wirken wird?

Kotor / Budva / Ulcinj / Tirana / Berat

Endlich reisst die Wolkendecke auf, die mich nun seit einer Weile begleitet hat, und es wird sommerlicher. Im Hostel in Kotor treffe ich mehrere Reisende wieder, die ich in Mostar kennen gelernt habe. Zusammen mit einigen Ankoemmlingen aus anderen Richtungen finden wir uns zu einer bunten Runde zusammen, die gemeinsam Kotor und die Straende an der montenegrinischen Kueste erkundet.
Kotor ist eine kleine, gemueliche, traditionellere Ausgabe von Split. An allen drei Tagen, die ich dort bin, kaufe ich auf dem Markt frische Erdbeeren und Joghurt. Wir klettern auf die Festung, ein ziemlicher Gewaltmarsch im warmen Wetter, aber das Picknick oben mit der herrlichen Aussicht ueber die weite Bucht ist den Aufstieg definitiv wert. Wir fahren nach Jaz an den Sandstrand, der nicht haelt, was die Einheimischen in Kotor versprechen, aber die Altstadt von Tivat ist huebsch und die Kuestenstrasse eroeffnet herrliche Landschaften mit wilden gruenbewachsenen Bergen und der ausgedehnten Adria.

Sana aus Kanada hat ein Auto gemietet. Nach zwei Naechten in Kotor fahren wir gemeinsam mit Steve aus Australien nach Budva. Die Stadt gefaellt uns, und spontan beschliessen wir eine Nacht zu bleiben. Abends schauen wir das Championsleague-Finale, kein Mensch spricht Serbisch, es sind nur Auslaender in dem Irish Pub, das das Spiel uebertraegt, aber der Abend ist ausgesprochen unterhaltsam.
Am naechsten Morgen schliesst sich uns noch Chris aus Norwegen an. Gemeinsam fahren wir landeinwaerts zum Skadar-See, aber das Doerfchen, das wir erreichen koennen, ist wenig spektakulaer – was soll’s, der Weg ist das Ziel, denn auf der Fahrt sehen wir wieder wunderschoene landschaftliche Szenerien. Mein staerkster Eindruck von Montenegro ist das schnelle Umschlagen des Wetters. Von einer Minute zur anderen folgt auf strahlenden Sonnenschein und brennende Hitze ein Nieselregen oder gar ein dunkles Gewitter. Insgesamt ist mein kultureller Eindruck eher blass geblieben. Ich komme nicht mit der einheimischen Bevoelkerung in Kontakt, sondern erlebe das Land hauptsaechlich als Touristin. Das ist schade, aber im Moment tut es mir gut, mit anderen Reisenden zusammen zu sein und mich nicht an jedem Ort neu auf einen ortsansaessigen Couchsurfer einzulassen.
Nachmittags erreichen wir Ulcinj. Die Stadt ist deutlich aermer und ungepflegter als Kotor und Budva. Wir bekommen zu viert ein dekadentes Hotelzimmer mi Balkon und Meerblick fuer 7,50 Euro pro Person. Die Adria ist noch kuehl, aber der Strand ist sandig und sauber.

Am naechsten Tag verstauen wir unsere vier Rucksaecke im Kofferraum eines Taxis zum Busbahnhof und erwischen gerade eben so puenktlich einen Bus nach Shkodra in Albanien. Nur aus dem Busfenster bewundern wir die dortige Festung, bevor wir weiterfahren nach Tirana. Schon auf der Fahrt ist einiges anders als in den slavischen Balkanstaaten. Die Albaner sind zweifelsohne das freundlichste und hilfsbereiteste Volk, das mir jemals untergekommen ist. Keiner versteht uns, aber alle wollen helfen. Der Busfahrer lacht sich scheckig ueber uns, sein Gesicht scheint zu sagen: Warum in Gottes Namen ihr hier seid, werde ich gar nicht versuchen zu begreifen – aber ich bin gerne bereit euch den Aufenthalte so angenehm wie moeglich zu machen. In Tirana fragt der Taxifahrer, der ebenfalls kein Wort Englisch spricht, ungefaehr vier verschiedene Passanten nach dem Weg und uebergibt uns schliesslich an einer Strassenecke an einen Unbekannten, der mit uns zum Hostel laeuft und stuermisch fuer uns an der Tuer klingelt.
Wir beginnen die Stadterkundung am Abend auf dem Weg zu einem Restaurant, in dem wir phantastisches albanisches Essen geniessen – viel Kaese und viel Fleisch, ich esse einen gewuerzten Huettenkaese mit Leber, lecker!
Am naechsten Morgen folgen wir dem Stadtrundgang, den der Lonely Planet vorschlaegt. Tirana wirkt auf mich wie eine Kreuzung aus Berlin, Athen und meiner Vorstellung von Damaskus. Auf Speed. Die Stadt ist schnell, kitschig, dreckig, bunt, haesslich und wunderbar. Der Verkehr folgt keinen Regeln und alles geht voellig durcheinander. Ich schmunzle ueber mein Beduerfnis, Ordnung im Chaos zu erkennen. Es fuehrt mir meine westliche Praegung vor Augen.

Nachmittags verabschieden Steve und ich uns von Sana und Chris, die wieder in den Norden wollen. Steve will nach Korfu, unsere Reiserouten ueberschneiden sich also noch eine Weile und wir verstehen uns praechtig. Wir springen in Tirana in ein Taxi und sagen, so macht man das hier, „Autobus Berat“, und der Taxifahrer bringt uns zum Abfahrtsort fuer den Bus nach Berat. Der Busfahrer spricht, Ueberraschung, kein Englisch, aber er bringt uns bei, wie man „danke“ auf albanisch sagt (falim nderit) und steht dann neben uns und telephoniert. Dann gibt er Steve das Telephon. Er hat seinen Sohn angerufen, damit der uns auf englisch erklaeren kann, dass wir Problemen jederzeit den Busfahrer bitten koennen, seinen Sohn zu kontaktieren und auf englisch fuer uns die Lage zu klaeren. Das ist wirklich deutlich mehr Gastfreundlichkeit als irgendjemand erwarten wuerde.
In Berat finden wir das Hostel schneller als jedes andere Hostel auf der Reise. Es ist mitten im schoensten Teil der Stadt gelegen, in einem alten osmanischen Haus, das auf der Liste des UNESCO Weltkulturerbes steht. Im Garten wachsen Granataepfel, Feigen und Kirschen. Das Hostel gehoert einem ganz unglaublich netten Briten und wir sitzen gemuetlich auf Sofas im Garten bis in den Abend.
Am naechsten Morgen stuermen Steve und ich die Festung. Schon um 10 Uhr ist es so heiss, dass es kaum auszuhalten ist. Der Aufstieg ist muehsam auf dem blankpoliertem Kopfsteinpflaster in der brennenden Sonne, ich wickle mir turbanartig mein Tuch um den Kopf. Wir sind umgeben von osmanischen Steinhaeusern. Oben angekommen ist es deutlich kuehler. Ich bin begeistert von der Atmosphaere und freue mich, dass der Tourismus noch nicht nach Albanien gekommen ist. Ich kann mir ein aehnliches Monument auch in Griechenland vorstellen, aber da waere es teuer und ueberlaufen und voll von haesslichen Souvenirlaeden. Wir klettern auf einen steilen Aussichtsturm. Steve vermutet, dass es sich um die Ueberreste eines Minaretts handelt, und er koennte damit durchaus recht haben. Der Blick ueber das weite Tal mit dem fast ausgetrockneten Fluss, das von schneebedeckten Bergen begrenzt wird, ist monumental. In ein paar Jahren wird der Tourismus hier einschlagen wie eine Bombe.

Wieder im Tal besuchen wir die Tekke mit einer herrlichen goldverzierten Holzdecke, in der uns ein unglaublich freundliches Maedchen eine kleine Tour gibt und kein Geld dafuer annehmen will. Wir schlendern auch durch die Markthalle und kaufen Gewuerze zwischen Kaese- und Fleischstaenden. Alle gruessen uns freundlich und haben gute Laune wenn wir „falim nderit“ sagen. Ich mag die Menschen in diesem Land! Ich bin sehr leicht dadurch gluecklich zu machen, dass Leute nett zu mir sind. Morgen geht es in den Sueden des Landes, nach Moeglichkeit an die schoensten Straende. Da der oeffentliche Transport hier eher provisorisch funktioniert, kann ich nicht genau sagen, wo wir landen. Es ist verrueckt, dass mich das gar nicht nervoes macht, im Gegenteil, ich finde es herrlich, mich nicht festlegen zu muessen. Auf Reisen ist es leicht, dem Motto „Carpe Diem“ zu folgen.

Anekdoten aus Serbien und Herzegovina

Ich fahre im Bus von Kraljevo nach Užice. Der Bus ist ziemlich voll und entgegen meiner sonstigen Gewohnheiten habe ich keinen Fensterplatz. Neben mir sitzt ein irgendwie altersloser Mann mit gegerbtem Gesicht. Vielleicht ist er schon 75. Vielleicht ist er auch erst 50 und hat in seinem Leben viel und schwer gearbeitet und gekaempft. Er hoert, wie ich vom Busfuehrer mein Ticket kaufe und verzieht kaum eine Mine zu meinen broeckeligen Versuchen, serbisch zu sprechen.
Gegen Ende der Fahrt kommt ein junger Mann aus dem vorderen Teil des Busses nach hinten und unterhaelt sich ueber meinen Kopf hinweg angeregt mit meinem Nachbarn. Ich beachte das zunaechst nicht weiter, sondern doese nur gemuetlich vor mich hin. Schliesslich merke ich, dass er ueber mich spricht. Mein Nachbar sagt zu ihm auf serbisch: „Sie versteht dich nicht.“ Ich nicke und bestaetige: „Ich verstehe nicht.“ Aber manche Menschen sind ja hartnaeckig. Ich unterhalte mich schliesslich fast eine Stunde mit dem Kerl auf serbisch. Das beinhaltet von meiner Seite ziemlich viel „Ne razumijem!“ („Ich verstehe nicht!“) und „Šta?“ („Was?“) und mit Sicherheit tausend gruselige Fehler, Kroatismen, Polonismen und Germanismen, aber ich kann ihm irgendwie verstaendlich machen, wer ich bin und was ich hier und zuhause tue. Mein Gespraechspartner, Damir heisst er, ist aber auch sehr geduldig, und es soll sich zeigen warum: Serbien sei kein gutes Land, Arbeit zu finden sei schwer, das Geld sei zu wenig; Deutschland dagegen – ein Land wo Milch und Honig fliessen, er wolle dorthin auswandern, aber man brauche da diese Papiere, und ein deutscher Staatsbuerger muesse fuer einen buergen, und langer Rede kurzer Sinn, ich koenne das doch eigentlich fuer ihn uebernehmen. Praktisch, dass ich mich wieder auf mein „Ne razumijem“ verlassen kann.Ich bleibe schliesslich noch fuenf Tage in Mostar haengen und bin voellig verliebt in die Stadt und ganz Herzegovina. Auch heute morgen kann ich mich kaum dazu durchringen die Stadt zu verlassen ohne mir selbst zu versichern, dass ich wiederkommen werde. Ich muss wieder dorthin, um besser zu begreifen, wie der Konflikt zwischen den verschiedenen Nationalitaeten und Religionen weiter schwelt. Gestern war ich mit zwei Amerikanerinnen in einer ausgebombten Bank in Mostar, die im Krieg als Hort fuer Scharfschuetzen benutzt wurde, im „Snipers‘ Nest“. Die Ruine steht direkt an der Frontlinie. Ueberall liegen rostige Patronenhuelsen, und die kaputten Fensterscheiben sind ueber den Boden verteilt, sogar Moebel und Akten sind noch im ganzen Gebaeude aufzufinden. An den Waenden prangen grosse Grafittis von Unterstuetzern der kroatisch-nationalistischen Szene. Wenn man das Stadtpanorama betrachtet, faellt das grosse Kreuz ins Auge, dass die Kroaten auf einem Berggipfel errichtet haben, von dem aus sie im Krieg dynamitgefuellte Traktorreifen auf die Stadt haben rollen lassen. Das „Snipers‘ Nest“ ist ein symboltraechtiger Ort, er zeigt viel von Geschichte und aktueller Situation in Mostar.

An einem Tag in Mostar fahre ich mit Aasa, einer Kanadierin, die im Hostel arbeitet, zurueck nach Blagaj zur Tekke. Wir wollen auf die dortige Burg klettern. Im Ort fragen wir nach dem Weg, der aeltere Herr im Souvenierladen erwaehnt Stein, ich verstehe aber nicht alles, na gut. Wir kommen an eine Kreuzung, da ist ein Schild: Betreten nur mit Helm und Stahlkappenstiefeln erlaubt. Also den anderen Weg, der schnurgerade nach oben fuehrt, mit Felsbrocken und Kieseln bedeckt ist, steil und und ein bisschen gruselig aussieht. Da liegt ein dickes Drahtseil, wir ziehen uns ein bisschen daran hoch. Oben auf der Burg treffen wir auf eine Horde Bauarbeiter. Die lachen sich tot. Sie sagen: „Aber da drueben ist ein Pfad!“ Wir sagen: „Naja, das wussten wir nicht…“ Wir fragen ob wir trotz Bauarbeiten die Festungsruine anschauen durefen. Ein Bauarbeiter sagt einen langen Satz, am Ende faellt das Wort „…pada!“ Ich sage zu Aasa: „It’s falling down.“ Aasa sagt: „Great!“ Und wir stuermen die Festung. Aasa bemerkt nuechtern: „I just realized how ridiculous it is that we thought we couldn’t take the regular path but decided instead to climb that steep slope that probably every normal person with common sense would recognize without a sign to be too dangerous to be used!“ Der Blick ins Tal ist unbezahlbar und die Bauarbeiter schliessen uns umgehend ins Herz und zeigen uns das ganze Gelaende. Anschliessend verbringen wir zwei stille Stunden in der Tekke. Es ist ein herrlicher herrlicher Tag.

Vukovar / Novi Sad / Belgrad / Novi Pazar / Višegrad

Aus Sarajevo geht mein Zug morgens ganz frueh nach Vukovar. Ich bin noch so erschlagen von den vielen Eindruecken, dass mir so ein ganzer Tag in Zuegen und Bussen ganz gut zupass kommt. In Vukovar dauert die Suche nach einer Unterkunft eine Weile, und mein Rucksack wird immer schwerer, und der Himmel immer grauer, und die Stadt ist von einer eindrucksvollen Mischung aus Traurigkeit und Lebensfreude gepraegt – traurig die Haeuserskelette, die Einschussloecher an fast jedem Gebaeude, der Blick durch leere Fensterrahmen in zerstoerte Raeume, in denen die Tapete an den Waenden noch zu erkennen ist; lebensfroh die Menschen, die in schicken kleinen Laeden Kaffee trinken und sehr hilfsbereit und gut gelaunt sind, wenn ich nach dem Weg frage. Ich denke an Erich Kaestners „Das fliegende Klassenzimmer“ und das schoene Zitat: „Das waere doch gelacht, dachte Jonathan Trotz, wenn das Leben nicht schoen waere.“ So kommen mir die Menschen hier vor. In Bosnien war das ganz aehnlich.

Nach der Nacht in Vukovar reise ich weiter nach Novi Sad. Die Passkontrollen sind jetzt langsam Routine geworden und nicht mehr so aufregend. Ich finde es jetzt eher bemerkenswert, wie einfach das alles geht und wie schnell. Die serbische Polizistin guckt nur ein bisschen komisch, aber vermutlich ist ihr Grenzuebergang einfach nicht der touristisch frequentierteste. In Novi Sad finde ich schon wieder nicht gleich den Weg, ich fahre einmal mit dem Bus um die ganze Stadt herum. Nun gut, da hab ich wenigstens schonmal ein bisschen was gesehen. Es giesst in Stroemen, die Strasse, in der mein Gastgeber Lazar wohnt, steht voellig unter Wasser, ich muss durch verschiedene Vorgaerten klettern. Einmal angekommen bekomme ich aber Kaffee und Musik und nette Gesellschaft. Ich sitze mit drei Serben und einer Bulgarin bis nachts um 4 beim Rotwein. Ich singe ein bisschen was aus unserem Volksliedprogramm und sowohl mein Kroatisch als auch mein Bulgarisch sind angeblich nahezu akzentfrei. Das beschraenkt sich sicherlich auf die Lieder, aber es ist schoen zu wissen, dass die Anlagen fuer die Sprachen anscheinend vorhanden sind.
Am naechsten Tag erkunde ich Novi Sad. Die Stadt erinnert tatsaechlich wieder mehr an Ungarn, wie es hier in der Vojvodina ja auch zu erwarten ist. Das Wetter ist wunderbar und die Strassen sind voller Musik, ich hoere aus verschiedenen Haeusern Menschen Klavier und Gesang ueben. Die grosse Synagoge fasziniert mich besonders. Nachmittags lasse ich mir in einem alterntiv/hippen Laden, wie er auch in Berlin in Friedrichshain zu finden waere, die Haare schneiden. Der gute Mann schnippelt liebevoll anderthalb Stunden an meinem Kopf herum und unterhaelt mich dabei auch noch glaenzend, so lange war ich glaube ich noch nie beim Friseur, und am Ende zahle ich nur laecherliche 9 Euro. Anschliessend klettere ich auch auf das Schloss hoch. Die Sonne scheint, ich trinke einen Kaffee und fuehle mich langsam etwas erholt.

Der naechste Tag ist aber schon wieder so aufregend: Morgens frueh brechen wir auf zu einer Wanderung im Fruška Gora Nationalpark. Ein herrlicher tiefer gruener Wald und Hoehenunterschiede von bis zu 300 Metern zwischen den Stationen machen das ganze Projekt ziemlich anspruchsvoll – an diese Stellen komme ich aber nicht, weil es nach 10 Kilometern anfaengt zu regnen und ich mich einem Maedchen anschliesse, das in die Stadt zuruecktrampen will. Abends kommen wieder verschiedenste Nationalitaeten in Lazars Wohnung zusammen: Serbien, Schweden, Frankreich und Russland sind vertreten, und wir singen wieder bis nachts um 3.

Langsam gehen meine Energie-Reserven zur Neige, und deswegen ist es genau das Richtige fuer mich, was mich in Belgrad erwartet: eine entzueckende Gastgeberin mit einer gemuetlichen Wohnung, in der meine Schlafcouch vor dem Fernseher steht, dazu herrliches Wetter fuer entspannte Spaziergaenge durch die weisse Stadt. Wir schlafen abends frueh ein und wachen morgens spaet auf. Saška verbietet mir, Geschirr zu spuelen oder ihr beim Kochen zu helfen, das ist serbische Gastfreundlichkeit. Mir ist das ein bisschen unangenehm, aber da ich gegen ihre Bestimmtheit ohnehin keine Chance habe, kann ich es auch einfach geniessen.
Belgrad ist eine richtige Grossstadt und hat als solche viel zu bieten, und es macht Spass, sich von Saškas Begeisterung anstecken zu lassen. Sie ist sehr stolz auf ihre Stadt und ihr Land. Wir sitzen lange auf der Schlossmauer mit einem herrlichen Blick auf Donau und Sava.


Hier sitzen wir und sprechen ewig – über Kosovo. Dabei macht sich bemerkbar, dass es sich bei Politik in Serbien tatsaechlich um ein viel komplizierteres Thema handelt als in jedem anderen Land, in dem ich jemals war. Besonders die Kosovo-Frage ist heikel, und Diskussionen darueber gestalten sich schwierig, denn ich habe kein historisches und politisches Vorwissen, was die ganze Angelegenheit angeht. Schon in Novi Sad treffe ich auf Betroffenheit und Unverstaendnis, was Kosovos Unabhaengigkeit betrifft, und es scheint, dass das Land diesen Zug Kosovos niemals akzeptieren wird. Es geht dabei viel um serbisches kulturelles Erbe in der Region Kosovo und um die schlechte Behandlung der Serben durch die Albaner. Das Unrecht, dass die Serben ausgeuebt haben, wird eingeraeumt, aber schnell dadurch relativiert, dass die andere Seite auch verbrecherisch gehandelt hat. Ein besonderes Schuldbewusstsein ist nicht da. Mit meinem deutschen Hintergrund, der mir die kollektive Nationalverantwortung fuer die Verbrechen des Holocausts auf so vielfaeltige Weise eingetrichtert hat, ist mir das sehr fremd. Das Nationalbewusstsein ist hier einfach ganz anders. Das zeigt sich in vielfaeltiger Form: Ich mache in Belgrad auch Photos von den Regierungsgebaeuden, aber ein Polizist kommt auf uns zu und erklaert, dass Photographieren hier verboten ist und ich muss das Bild wieder loeschen. Ich bin jetzt ehrlich umso gespannter auf Kosovo, denn mich interessiert doch vor allem, was die Menschen zur Unabhaengigkeit sagen, die da leben.

Nach Belgrad steht Novi Pazar auf dem Programm. Ich finde es relativ unspektakulaer dafuer, dass so viel Wirbel um den grossen tuerkischen Einfluss und die lebendige islamische Kultur dort gemacht wird. Mir faellt nur auf, dass Maedchen mit Kopftuch eher unter sich zu bleiben scheinen und Maedchen ohne Kopftuch auch. In Sarajevo kam mir das gemischter vor, aber vielleicht erwarte ich auch nur Segregation in Serbien und sehe deswegen Gespenster?
Von Novi Pazar fahre ich nach Studenica zum Kloster. Die Kapelle ist eine der schoensten, die ich je gesehen habe.

Dorthin zu gelangen ist auch nicht ohne, oeffentlicher Nahverkehr ahoi, ein Auto waere hier wirklich praktischer. Dafuer ist es nicht ueberlaufen, sondern einfach huebsch. Die Nacht verbringe ich in Užice bei einer Couchsurferin, abends gehen wir zu einem kleinen lokalen Filmfestival und sehen einen Film ueber Militaerkoeche seit dem Zweiten Weltkrieg, hochinteressant!

Und schon wieder weiter, zurueck nach Bosnien. Heute Višegrad – und ich kann es genau so einrichten, wie ich gerne wollte: Ich sitze auf der Bruecke ueber die Drina auf der Kapia (wer das Buch kennt, weiss, was das ist) und lese die letzten Seiten in Ivo Andrićs Meisterwerk. Die Stadt ist klein und beschaulich, nicht besonders huebsch, aber die Bruecke ist gigantisch sowohl im Ausmass als auch betreffs der Schoenheit, und die Drina ist gruen und maechtig.

Anschliessend mache ich Station in Sarajevo bevor es zurueck nach Mostar geht, wo ich mich nochmal zwei Tage erholen werde. Ich freue mich schon auf das Hostelpersonal und die Stadt. Danach steht Dubrovnik auf dem Programm, ich muss jetzt auch mal wieder an die Kueste und frischen Seewind atmen und schwimmen gehen und braun werden, um die Batterien aufzuladen.

Mostar und Umgebung / Travnik / Jajce / Banja Luka / Sarajevo

Die Busfahrt von Split nach Mostar eroeffnet wieder Ausblicke, die mich sprachlos machen. In Kroatien werden die Berge immer hoeher und der Blick ueber die Adria wird immer weiter. Hinter der bosnischen Grenze (diesmal Passkontrolle, aber kein Stempel, ich bin fast ein bisschen enttaeuscht) ist alles weicher und gruener. Die Landschaft ist so harmonisch und friedlich, der Krieg, den man mit Bosnien doch so haeufig als erstes assoziiert, er kommt mir gar nicht in den Sinn. Auffaellig nur die grosse Anzahl kleiner Schrottplaetze mit ausgenommenen Autos deutscher Hersteller… ein paar Stereotypen muss wohl jedes Land bedienen.

Die Ankunft in Mostar ist ziemlich dramatisch. Erst will der Busfahrer mit mir was trinken gehen. Nein danke. Dann setzt er mich irgendwo ab und behauptet, die Innenstadt waere ganz nah. Da der Busbahnhof laut Karte tatsaechlich irgendwo in der Wallachei liegt, glaube ich ihm, steige aus und verlaufe mich hoffnungslos. Da stehe ich dann auch ploetzlich zwischen Kriegsruinen und alles ist ein bisschen unheimlich. Nach einer Stunde finde ich das Hostel, habe, hurra, erstmal einen Asthmaanfall vor lauter Aufregung und bin ganz schoen k.o. Keine halbe Stunde spaeter lachen mich die anderen Hostelgaeste aus, weil ich schon voellig wiederhergestellt bin und ausgesprochen gute Laune habe. So kann es gehen. Das Hostel wird von Majda und Bata betrieben, Geschwister um die 40, und liegt in einer Wohnung in einem Plattenbau. Die Stimmung ist unheimlich familiaer und gemuetlich und man muss sich einfach sofort wohlfuehlen.

Am naechsten Tag bietet Bata eine Tour durch die Region an. Fast alle Hostelgaeste fahren mit, und es ist nicht zu irgendjemandes Schaden. Zuerst bringt Bata uns nach Međugorje. 1981 hatten hier auf einerm einsamen Berghuegel sechs Teenager eine Vision der Heiligen Jungfrau Maria. Seitdem ist der Ort eine Pilgerstaette und wird jaehrlich von bis zu 2 Millionen Menschen besucht. Alles fuehlt sich ein bisschen nach Disneyland an, weil der Ort eigentlich nur aus Restaurants, Souvenirlaeden und Hotels besteht, viel Plastik und Pappe. Aber was fuer eine Macht der Glauben haben kann! In naher Zukunft will der Vatikan die Vorkommnisse ueberpruefen, bislang ist der Vorfall nicht offiziell anerkannt, und trotzdem diese Menge von Pilgern!
Die zweite Station heisst Kravice. Hier gibt es einen wunderbaren Wasserfall von fast 30 Metern Hoehe. Wir baden im eiskalten Wasser, stehen unter Nebenwasserfaellen, und springen mit einem Seil in den Gebirgsfluss. Herrlich!

Weiter geht es nach Počitelj. Das mittelalterliche Dorf war bis zum Krieg ganz regulaer bevoelkert, ist aber 1993 ethnischen Saeuberungen zum Opfer gefallen und wurde weitestgehend zerstoert. Einiges ist heute wieder aufgebaut, und der Blick vom Burgturm auf die gruene Neretva ist so schoen, dass es mir die Traenen in die Augen treibt. Wir kehren bei einer der letzten Bewohnerinnen des Dorfes ein und werden mit Kirschstrudel, bosnischem Kaffee (der uns meistens als tuerkischer Kaffee bekannt ist) und selbstgemachtem Minz-, Salbei- und Granatapfelsirup bewirtet.

Der letzte Halt ist Blagaj, eine Pilgerstaette fuer Moslems mit einer herrlichen Tekke und der Quelle des Flusses Buna. Das erste Mal auf dieser Reise muss ich ein Kopftuch tragen. Ich habe noch viele Diskussionen darueber vor mir, aber ich finde es nicht unangenehm. Blagaj ist ein wirklich zutiefst spiritueller Ort. Ich moechte gerne wiederkommen.

Die ganze Tour ueber versorgt uns Bata mit Informationen ueber die Region, den Krieg, seine Lebensgeschichte und die bosnische Kultur. Er hat unglaublich viel zu teilen, und es ist ein Geschenk, dass er bereit ist so offen darueber zu sprechen. Seine ganze Familie musste im Krieg fliehen, und die Dinge, die sie vorher gesehen haben muessen, entbehren jeder Beschreibung. Ich scheue mich davor, zu viel hier niederzuschreiben. Wer die Geschichten hoeren will, soll selbst nach Mostar fahren.

Wir kommen erst spaet nach Mostar zurueck und deswegen habe ich am folgenden Morgen nur noch wenig Zeit fuer die Stadt. Sie begeistert mich. Sie ist bunt und froehlich und lebensfroh. Die Menschen scheinen aus den Erfahrungen des Krieges einen besonderen Ueberlebenswillen gezogen zu haben. Maedchen mit und ohen Kopftuch sitzen gemeinsam beim Kaffee und schnacken. Die Souvenirstaende mit den herrlichen Schals und Schmuckstuecken nehmen Euro und Bosnische Mark und ueberall spricht man Englisch. Die Bruecke, die beruehmte, sie trohnt ueber allem. Ein herrliches Fleckchen Erde!

Nach einem kurzen Zwischenstop in Sarajevo (ich hoere das erste Mal in meinm Leben den Muezzin vom Minarett zum Gebet rufen, ich finde es wunderschoen!) brechen mein Gastgeber Nagy, ein Kumpel Fatih und ich am Samstag frueh morgens in den Norden Bosniens auf. Nagy und Fatih kommen aus der Tuerkei und arbeiten beide an einer hiesigen tuerkischen Privatuniversitaet. Beide sind glaeubige Moslems und zwischendurch muessen wir das ganze Wochenende immer mal wieder eine Moschee suchen, weil die beiden beten muessen. Wenn man wirklich will, kann man sowas ja echt in jeden Tagesablauf integrieren! Ich frage viel zum Islam, wir haben eine kleine Kopftuchdiskussion und nebenbei geniessen wir die Schoenheit von Travnik und Jajce.

Banja Lukas, unser Ziel fuer den Tag, ist dagegen erschreckend nichtssagend und beinahe haesslich. Abends treffen wir uns mit ortsansaessigen Couchsurfern – noch eine Kopftuchdiskussion. Ich bin mir in meiner Meinung darueber noch nicht ganz klar, aber die staendige Auseinandersetzung mit dem Thema ist ziemlich spannend. Am naechsten Tag geht es ueber Krupa na Vrbasu, einem Mini-Plitvice, wieder zurueck nach Sarajevo.

Sarajevo selbst ist eine sehr bunte Stadt, und die Kriegswunden stoeren die Aesthetik des Ortes nur bedingt. Zumindest atmet man hier Geschichte, ein bisschen wie in Berlin. Das tuerkische Viertel Baščaršija ist voller Leben und ich moechte am liebsten ueberall Schmuck und Tuecher und Roecke kaufen. Ich sitze an beiden Tagen, die ich hier verbringe, stundenlang vor der grossen Moschee und betrachte das Treiben dort. Auch Kopftuecher folgen unterschiedlichen Moden: alte Muetterchen in traditionellen Farben, stylishe junge Frauen mit abgestimmten Outfits. Abends fahren Nagy und ich zur Festung hoch und geniessen einen herrlichen Blick auf die Stadt. Ich besuche auch das Tunnelmuseum, das den Eingang des Tunnels zwischen Sarajevo und dem freien bosnischen Territorium waehrend der Belagerung 1992-1995 bewahrt. Es hat ein bisschen was von Berliner Luftbruecke und ist sehr bewegend.

Morgen kommt noch mehr Auseinandersetzung mit dem Krieg: Es geht nach Vukovar in Kroatien, das schwer beschaedigt worden ist. Mich macht es ganz verrueckt, dass das erst so kurz her ist und ich so wenig darueber weiss. Nach Vukovar steht Serbien auf dem Plan. Darauf bin ich sehr gespannt, denn Kroaten und Bosnier haben, wenn es um den Krieg geht, doch meistens die Serben als den gemeinsamen Feind genannt. Dort begegnet mir sicher eine neue Sicht auf den Krieg.

Slowenische Kueste / Rijeka / Zagreb / Plitvička Jezera

Der Weg von Bled an die Kueste steht unter keinem guten Stern. Ich verlaufe mich natuerlich auf dem fruehmorgendlichen Gewaltmarsch zum Bahnhof in Bled und erwische den Zug gerade noch so, schweissgebadet. Das Wetter ist miserabel und die Sicht auf die eigentlich huebsche slowenische Landschaft dementsprechend auch nur halbschoen. In Koper sitze ich kaum im Bus nach Piran, da faengt es an zu hageln in riesigen Koernern. Na, das kann ja was werden!
Aber ich habe ja mehr Glueck als Verstand mit dem Wetter. In Piran ist strahlender Sonnenschein, und die Adria liegt in schoenster Ruhe zu meinen Fuessen, als ich aus dem Bus klettere. Und mein Gott, was fuer eine huebsche Stadt! Sehr italienisch mit ihrer Piazza, den venezianischen Haeuschen und der Hafenanlage, aber eben irgendwie slawisch! Nicht nur die Strassenschilder sind zweisprachig italienisch-slowenisch (ich freue mich an dem herrlichen Ausdruck „Prvomajski trg“ fuer „Platz des ersten Mai“ – Slowenisch ist so praezise!), sondern auch die Werbeplakate fuer den Sparmarkt. Das Hostel ist teuer, aber gut gelegen und sehr sauber und nett, und in den kleinen Gaesschen kann man sich gut verlaufen. Ich schlendere hoch zur Kirche Svet Jurij. Auf dem Weg waechst Pfefferminze, das riecht so gut. Nachmittags trinke ich einen Cappucino auf einem kleinen Platz, da duftet es auch – nach Zigarettenrauch, Wein, Proščut und Kaffee. Die Stadt ist wunderbar, ich koennte hier Wochen verbringen und einfach sitzen und lesen und gucken.

Am naechsten Tag fahre ich nach Koper weiter – nicht so spektakulaer, aber auch sehr niedlich. Nina, meine Gastgeberin dort, ist wieder eine Couchsurferin, wir gehen abends in einem herrlichen Sonnenuntergang an der Hafenpromenade spazieren. Am Morgen darauf fahre ich mit dem Bus nach Izola und laufe immer am Wasser entlang nach Koper zurueck. In der Ferne glitzern wieder schneebedeckte Berge.

Von Koper mache ich mich auf den Weg nach Rijeka. Die Grenzueberschreitung ist diesmal ganz anders – es gibt einen direkten Zug von Pivka nach Rijeka, ich muss also nur einmal umsteigen. Dafuer kommen in Illirska Bistrica und in Šapjane die Kontrolleure und schauen Paesse an. Ich bekomme meinen ersten Stempel und finde das irgendwie alles so ganz gut und richtig. Dann faellt mir auf, wie komisch es ist, dass ich dieses Ritual so verinnerlicht habe und es so viel gewoehnlicher finde als die Grenzueberschreitung zwischen Ungarn und Slowenien, die ohne jede Formalitaet auskommt. Seltsam.

In Rijeka fahre ich mit dem Bus zu meinem neuen Gastgeber Roni. Wir verstehen uns blendend und schnacken gleich mal mehrere Stunden auf seinem Balkon. Abends wollen wir zu einem Let3 Konzert, eine kroatische Band, die unbeschreiblich ist, ich empfehle Kostproben auf YouTube. Leider ist das Event ausverkauft, aber wir gehen sehr nett mit vielen Leuten was trinken und sind spaet zu hause.
Am naechsten Morgen fahren wir mit dem Bus in das Fischerdorf Volosko und laufen von dort nach Opatija. Ueberall ist oesterreich-ungarischer Kitsch und Kurort-Pomp. Es gibt deutsche Touristen in rauen Mengen, die auf den Hotelterassen sonnenbaden – Roni findet es dafuer noch viel zu kalt, aber ich merke auch schon den Sommer! In Opatija genehmigen wir uns ein Eis, um dann mit dem Bus nach Rijeka an den Hafen zu fahren und dort frische Sardellen zu essen – lecker! Ich mag Rijeka sehr, es hat einen rauen Charme, ein bisschen wie Hamburg – muss am Hafen liegen.

Am naechsten Tag fahreich hoch zum Schloss und geniesse den Blick auf die Stadt. Der Himmel ist grau, aber auf dem Weg ins Zentrum reisst die Wolkendecke auf und es gibt wieder Sonnenschein. Den ganzen Nachmittag sitzen Roni und ich auf dem Balkon und diskutieren beim schoensten Adria-Blick ueber Gott und die Welt. Gegen abend kommt mich ein Freund von Roni abholen, der mich im Auto mit nach Zagreb nimmt.

In Zagreb komme ich in einer Couchsurfer-WG unter. Marina tritt mir ihr Bett ab, weil sie ab und zu gerne auf dem Boden schlaeft – ruehrend! Ich habe nur einen Tag um mir die Stadt anzuschauen, viel zu wenig – es ist seit Budapest die erste Stadt, die die Qualitaet einer Metropole hat, und sie ist viel schoener als ich dachte. Auf Marinas Empfehlung hin fahre ich zum Friedhof, der herrliche Arkaden hat. An einem Grab weint ein altes Muetterchen bitterlich. Ich schleiche eine Weile um sie herum, habe dann aber doch das Beduerfnis, sie zu troesten. Ich gehe zu ihr hin und sage: „Ich verstehe leider kein Kroatisch…“ und sie sagt: „Ich bisschen deutsch.“ Sie weint um ihren Sohn und freut sich glaube ich sehr ueber meine Gesellschaft und meine Hand zum Festhalten. Sie zeigt mir die Graeber der deutschen Gefallenen aus dem zweiten Weltkrieg. Fuenf oder sechs grosse Grabfelder.

Wieder in der Stadt geniesse ich das bunte Treiben und freue mich ueber die Entdeckung der ersten orthodoxen Kirche – so schoen, so wahnsinnig bunt und froehlich! Die Kathedrale ist ebenso eine Offenbarung, und die Parkanlagen um das Theater und verschiedene Museen herum allemal auch einen Spaziergang wert. Abends gehen Marina und ich mit ein paar Freunden in einem ausgesprochen alternativen Laden etwas trinken. Marina hat noch einen zweiten Couchsurfer fuer die Nacht, einen japanischen Puppenspieler, der seine Marionette fuer uns tanzen laesst.

Am Morgen fahre ich ganz frueh zum Busbahnhof, weil um halb 8 mein Bus nach Plitvice zu dem beruehmten Nationalpark gehen soll. Der Bus geht dann erst um 9, deswegen kann ich nicht den ganzen Park sehen – aber mit diesem Fleckchen Erde hat der liebe Gott es wirklich extrem gut gemeint! Ich habe in Europa noch kein so schoenes Stueck Natur gesehen. Wasserfaelle, Seen, Waelder, die Sonne, die auf dem Wasser tanzt. Worte reichen hier nicht aus. Es ist wunderschoen.

Von Plitvice fahre ich mit dem Bus nach Zadar. Ich habe hier keine Couchsurfer gefunden, deswegen hat Marina mich, ruehrend!, an eine Freundin vermittelt, bei der ich jetzt die kleine Wohnung bevoelkere, die eigentlich mit Mann, Baby und zwei Hunden schon voll genug ist. Aber die unfassbare Gastfreundschaft, mit der ich ueberall empfangen werde, hoert auch hier nicht auf. Die Leute haben keinen Platz, aber sie teilen ihn mit fremden Menschen. Das ist ein gefundenes Fressen fuer meinen Idealismus. Das Leben ist schoen.

Maribor / Ljubljana / Bled

In Veszprem habe ich eineinhalb Stunden nach einer Verbindung nach Slowenien gesucht, die nicht ueber Graz geht – das fand ich total albern. Endlich habe ich dann was gefunden und beginne die neunstuendige Fahrt mit der Etappe Veszprem – Zalaegerszeg, dort muss ich umsteigen in einen winzigen Zug von vielleicht 10 Metern Laenge, ein einziger Waggon. Der aechzt und ruckelt dann sehr angestrengt nach Hodoš, wo die Grenze ist. Die letzten Passagiere ausser mir sind an der letzten ungarischen Station ausgestiegen und ich fahre mit dem Schaffner alleine ueber die Grenze und steige in Hodoš aus- das ist ein totales Nest, das im Prinzip aus einem riesigen Bahnhofsgebaeude mit Zollbehoerde und allem Drum und Dran besteht und sonst aus gar nichts. Nur die slowenische Flagge weht stolz und froehlich ueber den Bahnhof. Ich habe dort eine Stunde Aufenthalt, das ist voellig skurril. Mich fasziniert diese voellig entvoelkerte Grenze. Was fuer ein Kontrast zur amerikanisch-mexikanischen Grenze zwischen El Paso und Ciudad Juarez, an der die zwei Staedte und Staaten nahtlos ineinander uebergehen und die Grenze in der Zivilisation ertrinkt! Weiter geht es ueber Murska Sobota und dann immerhin ohne Umsteigen, dafuer in einer absurden Suedkurve ueber Ormož, Ptuj und Pragersko nach Maribor.

In Maribor komme ich in einer WG von 5 Studenten unter, die aber alle arbeiten – ich komme gegen 20 Uhr an und wir sitzen lange in der Kueche, trinken Salbeischnaps und Wein und diskutieren ueber den Bolognaprozess. Ich moechte am liebsten sofort einziehen. Am naechsten Tag stehen Mojca un Rok, in deren Zimmer ich schlafe, frueh auf und ich setze mich dann irgendwann zum Fruehstueck in die Kueche. Ich fuehle mich wie zuhause. Den ganzen Tag laufe ich durch die Stadt, eigentlich laufe ich immer ein kurzes Stueck und sitze dann irgendwo eine Stunde lang und lese mein Buch – an der Drava, auf dem Glavni trg, im Stadtpark, oben auf dem Huegel Piramida. Das Wetter ist phantastisch und abends habe ich einen Sonnenbrand. Langsam trudeln verschiedene Mitbewohner in der Wohnung ein, Tilen kocht, wir trinken Wein, alle rauchen (nur ich bleibe stark!), es kommt Besuch, wir gehen tanzen bis nachts um 3. Es ist als wurde ich hier wohnen.

Am naechsten Tag nimmt Tilen Eva und mich im Auto mit nach Ljubljana. Auf dem Weg halten wir bei einem Weinbauern in der Naehe von Slovenska Bistrica, weil Tilen dort Wein kaufen will. Wir werden verkoestigt wie die Koenige: verschiedene Sorten kalter Braten, Schinken, Kaese, Raeucherwurst mit viel Knoblauch, Kaese, Brot, selbstgemachte Kuchen, zwei Sorten Wein, selbstgemachter Apfelsaft, Most, es hoert ueberhaupt nicht mehr auf! Es ist einfach wunderbar, und die Gesellschaft stimmt auch.

In Ljubljana angekommen finde ich relativ zuegig zu Mias WG – es ist schoen, auch mal bei jemandem unterzukommen, den man schon kennt. Sie hat ihren Freund Kalle zu Besuch, und am ersten Abend gehen wir noch durch den Regen auf die Metelkova, einen herrlichen alternativen besetzten Gebaeudekomplex mit vielen Clubs in ehemaligen Militaerbarracken. Am naechsten Tag entdecke ich Ljubljana – der Blick vom Schloss auf die verschneiten Berge in der Ferne ist unbezahlbar, die Stadt ist wunderschoen, die Menschen so freundlich – Slowenien begeistert mich restlos.

Abends gehen wir essen – zum Nachtisch gibt es Gibanica, einen Mohn-Topfen-Apfel-Walnuss-Strudel-Unfassbar-Lecker-Unbedingt-Sofort-Jeden-Tag-Essen-Wollen-Nachtisch. Ich habe von einer Freundin von Mias Mitbewohnerin auch ein Rezept bekommen. Der zweite Tag in der Hauptstadt ist ruhig, ich kaufe in einem herrlichen Antiquariat mit englischen Buechern – eine Empfehlung der Maribor-WG – Vladimir Bartols „Alamut“, einen slowenischen Klassiker. Auf die Lektuere freue ich mich sehr!

Heute in aller Fruehe dann der Bus nach Bled. Auf der Fahrt brechen die schneebedeckten Berge durch eine dicke Wolkenwand, das sieht so schoen aus! Leider nieselt oder regnet es den ganzen Tag, aber der Spaziergang um den herrlichen Bleder See mit dem Inselchen in der Mitte und die Fahrt mit dem Boot dorthin lasse ich mir nicht nehmen. Ich laeute die Wunschglocke und denke in dem barocken Kirchlein an meine polnischen Freunde und frage mich, wie es in Polen wohl aussieht nach dem Flugzeugunglueck.
Nachmittags laufe ich noch hoch zum Schloss. Dort gehe ich nicht hinein, der Eintritt ist unverschaemt teuer und schon die Bootsfahrt und der Eintritt auf der Insel waren nicht von Pappe. Aber ich waere nicht Papis Tochter, wenn ich nicht eine Alternative zum Blick von der Schlossmauer suchen wuerde. Ich besteige voellig unbefestigte Wege und laufe um das Schloss herum. Gott segne das Profil meiner Wanderstiefel, ungefaehrlich ist das nicht – aber ich werde mit einem atemberaubenden Blick auf den See belohnt.

Morgen muss ich in aller Fruehe einen Zug bekommen und fahre dann an die Kueste – da soll auch das Wetter wieder besser werden. Schon jetzt ist mir klar, dass dies nicht mein letzter Besuch in Slowenien sein wird, ich habe zu wenig Zeit fuer alles, was ich sehen moechte. Eine unfassbare Vielfalt, von Mittelmeerkueste bis zum Skifahren in den Alpen, Weinberge, Hoehlen, roemische Ruinen, es scheint hier einfach alles zu geben und nichts ist weiter als drei bis vier Stunden entfernt- es sei jedem ans Herz gelegt, sich davon selbst zu ueberzeugen!

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