Aufstehen um 3 Uhr nachts. Taxi zum Flughafen um 4. Für diese Reiseplanung sind eindeutig meine Eltern verantwortlich. Es ist noch stockduster, als wir – das sind meine Eltern, meine Schwester Malaika und ich – das Abflugterminal erreichen. Nach dem Check-In haben wir noch viel Zeit. Ich suche einen Raucherbereich und finde einen vielleicht sechs Quadratmeter großen Glaskasten. Von außen sehen die Raucher darin aus wie Fische in einem Aquarium. Von innen ist es eine ganz fidele Gesellschaft, die sich hier versammelt hat. Ein Mann mittleren Alters von sicherlich 1,95m Körpergröße betritt den Glaswürfel kurz nach mir, und der Unterhaltungsfaktor steigt schlagartig. Er erklärt der ganzen Mannschaft mit einem südeuropäischen Akzent – italienisch vielleicht? – im Brustton der Überzeugung, dass wir Raucher mit der Tabaksteuer den Terrorkampf finanzieren und außerdem für die Rettung der deutschen Wirtschat verantwortlich sind, weil wir früher sterben und den Staat daher keine Rente kosten. Die Begegnung hebt meine Laune enorm, die Müdigkeit weicht einem stillen Amüsement und der Vorfreude auf Griechenland.
In Heraklion angekommen wird mir meine ambivalente Einstellung zum Fliegen klar. Ich mag das seltsame Ziehen im Bauch, wenn der Flieger abhebt. Mir ist immer, als bliebe ein Stück von mir am Boden, und ich stelle mir gerne vor, dass ich das zurücklasse, was mich gerade belastet. Mich fasziniert es, wenn ich aus dem Fenster schaue und Wolken nicht über mir, sondern unter mir sehe. Aber ich mag das Ankommen nicht. Es ist mir zu schnell, zu plötzlich. Mit Bus und Bahn kann ich erfassen, wie ich eine Distanz zurücklege. Ich bringe Abstand zwischen mich und den Ort, von dem ich aufgebrochen bin. Wenn ich in ein Flugzeug steige, verbringe ich nur ein paar Stunden in einem hermetisch abgeriegelten Raum und bin dann auf einmal da wo ich hin will, in der Regel ganz wo anders. Das überfordert mich ein bisschen. Ich habe jedoch hier in Heraklion gegen einen massiven Unterschied zum verregneten Hamburg nichts einzuwenden: Die Sonne scheint und es ist geradezu brüllend heiß. Am Busbahnhof ziehe ich mir die Jeans aus, die ich unter meinem Rock getragen habe.
In Heraklion angekommen wird mir meine ambivalente Einstellung zum Fliegen klar. Ich mag das seltsame Ziehen im Bauch, wenn der Flieger abhebt. Mir ist immer, als bliebe ein Stück von mir am Boden, und ich stelle mir gerne vor, dass ich das zurücklasse, was mich gerade belastet. Mich fasziniert es, wenn ich aus dem Fenster schaue und Wolken nicht über mir, sondern unter mir sehe. Aber ich mag das Ankommen nicht. Es ist mir zu schnell, zu plötzlich. Mit Bus und Bahn kann ich erfassen, wie ich eine Distanz zurücklege. Ich bringe Abstand zwischen mich und den Ort, von dem ich aufgebrochen bin. Wenn ich in ein Flugzeug steige, verbringe ich nur ein paar Stunden in einem hermetisch abgeriegelten Raum und bin dann auf einmal da wo ich hin will, in der Regel ganz wo anders. Das überfordert mich ein bisschen. Ich habe jedoch hier in Heraklion gegen einen massiven Unterschied zum verregneten Hamburg nichts einzuwenden: Die Sonne scheint und es ist geradezu brüllend heiß. Am Busbahnhof ziehe ich mir die Jeans aus, die ich unter meinem Rock getragen habe.
Über Vrisses fahren wir mit dem Bus nach Chora Sfakion. Weiße und lila Bougainvilleas fallen ausladend von Balkons und Flachdächern an Häuserwänden herunter, um sich auf dem staubigen Boden auszubreiten wie Teppiche. Am diesigen Horizont liegen die Berge wie voreinandergeschichtet in schwarzen Silhouetten. Sie sehen aus wie das Titelbild zu einem Phantasy-Roman. Endlich das Meer – weit und blau, wie es nur das Mittelmeer ist. Von Chora Sfakion an der Südküste Kretas nehmen wir die Fähre nach Loutro.

Meine Schwester Martina kommt einen Abend später in Loutro an. Nun sind wir komplett. Am Morgen darauf wandern wir zu fünft eine Stunde an der Küste entlang zum Strand von Glyka Nera. Ich wundere mich über seltsame Knollen im Boden, auf die ich ständig aus Versehen drauftrete und die aussehen wie getrocknete Rosenblüten.
Mami erklärt mir, dass es sich dabei um Meerzwiebeln handelt und zeigt mir eine, die schon keimt. Ihr Stengel schnellt ehrgeizig empor und sieht mit seiner lustigen Spitze aus wie ein kleines Minarett. Am Weg wächst auch Lavendel, den ich zwischen den Fingern zerreibe. Ich muss an Piran in Slowenien denken, wo der Duft von frischer Pfefferminze überall durch die kleinen Straßen zog. Abgesehen von dieser spärlichen Vegetation ist die Landschaft ausgesprochen karg. Die Steilküste ragt abweisend und graubraun neben uns gen Himmel. Umso intensiver ist die Farbe des Meeres.

Morgens frühstücken wir auf dem Balkon griechischen Joghurt mit Honig und Tomatenbrot mit Feta. Abends gehen wir an der Uferpromenade essen. Wir bestellen jedes Mal vorweg einen Choriatiki (griechischen Salat aus Gurke, Tomate, Paprika, Oliven und Feta-Käse), einen Tzatiki, einmal Dakos (eine Art griechische Bruschetta: Tomate auf doppelt gebackenem harten Brot mit Fetakäse) und einen Saganaki (gebackenen Fetakäse) und hinterher verschiedene Hauptgerichte. Jeder isst bei jedem mit.


Der Weg nach Marmara gestaltet sich unbequemer. Die Sonne brennt, und der Untergrund ist uneben und muss nicht selten erklettert werden. Malaika und ich entscheiden uns an einer Weggabelung für den vermeintlich einfacheren Weg – sie wegen ihrer Schwangerschaft, ich wegen meines Asthmas. Laut Mami ist es ganz einfach: immer geradeaus und dann sieht man schon den Wanderweg. Wir landen nach einer Weile „immer geradeaus“ am oberen Ende einer steilen Felswand. Wir sind auf den Rand der Aradena-Schlucht gestoßen. Hinunter geht es hier auf keinen Fall, in den Abgrund zu schauen löst einen gewissen Nervenkitzel bei mir aus. Es geht so jäh und radikal nach unten, die Kante ist geradezu scharf. Um die Felsen, auf denen wir stehen, spielt roter Sand, die Schlucht wirkt ungezähmter, wilder als die Imbros-Schlucht. Wir müssen zurück und finden mit ein paar anderen Wanderern gemeinsam den versteckten Wanderweg zurück zum Meeresstrand.
In der Marmara-Bucht – Marmorgestein, weiß und glatt gespült von den Wellen. Der Strand ist schwarz, darauf zu laufen tut an den Füßen weh, weil die Kiesel heiß und unförmig sind. Schwimmt man an der Küste entlang findet man winzige Einbuchtungen, die das Meer ins Gestein geformt haben muss. Wenn Wellen dort anschlagen, hört man nicht nur das Geräusch des Wassers, sondern auch das Klirren von Kieseln, die vom Wasser an den Stein geschleudert werden und mit dem Zurückweichen der Welle langsam wieder Richtung Meeresgrund rieseln. Einzelne Wolken werfen riesige Schattenungetüme auf die Berge der Steilküste.

Ich muss eine Weile allein sein und spaziere in Loutro zum Fähranleger und darüber hinaus zur kleinen Ruine am Ende der Bucht. Ich bemerke, dass es mir schwerer fällt, zu beobachten, welche Wirkung ein Ort auf mich hat, wenn vertraute Menschen um mich sind, selbst wenn wir nicht reden. Ich sitze dort auf den Felsen und fühle, wie meine gebräunte Haut warm ist von der Sommersonne, genau wie die weißen staubigen Felsen auf denen ich sitze. Wo die Steine nass sind, sind sie schwarz, umspült von Gischt. Der Horizont bildet eine Linie, die gleichzeitig gerade und rund ist. Ein kleines gelbes Kajak treibt als Farbtupfer an mir vorbei. Meine Eltern haben uns beigebracht, solche Orte zu lieben.