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Brückenschläge und Schlagworte

Schlagwort: hiking

Romantic Humility – Rügen’s Chalk Cliffs

There is a view of the Baltic Sea from the bedroom window. I wake up early and witness the sky growing slowly lighter and lighter. Only last night after our arrival, we took a walk down to the beach and sat in the fading light of the sunset, listening to the eternal sounds of waves crushing upon the rocks. Not violently or angrily though. The sound was just steady, calm, inviting even – inviting thoughts, feelings and musings to surface from the innermost depths of our beings.

Rügen, GermanyWe didn’t talk much. Now in the early morning haze of an in-between phase at the verge of sleep and wake, the misty morning appearing outside the window and Kap Arkona shining through dimly in the distance, this feeling of peace is still with me. And at the same time I am excited for the adventures of the day.

Rügen, GermanyWe want to walk from Lohme, the small village in Rügen’s Jasmund National Park, along the coast to the famous chalk cliff called Königsstuhl, King’s Chair. Anyone who likes art history and knows about romanticist painting may have heard of Caspar David Friedrich, a German painter from the nearby mainland town Greifswald (a place I truly love). The chalk cliffs in this area were among his most appreciated motives.

Rügen, GermanyHe painted them in beautiful romantic fashion, expressing the depth of human feeling, longing and the almost desperate will to live all facets of life, be they good or bad. At least this is what I see in his paintings – and I will be reminded of this romantic emotional overload walking in the beautiful coastal nature of the island of Rügen today.

Rügen, GermanyWe start out by the beach, but soon we are not sure how to follow the path, because there isn’t really one. Because of that, we make our way up through the forest to the upper part of the hiking trail. It is somewhat exhausting to ascend from the beach, but walking on the soft forest ground is less hard on the feet than walking on the pebbled beach was.

Rügen, GermanyThe forest is thick and green in its last bit of summer gear. Rays of sunshine fall through the tree crowns onto the mossy cover on the ground, like spot lights trying to point to something exciting. But there is just silence and, far beneath us, the growling of the sea.

Rügen, GermanyEvery now and then the forest will thin out toward the steep edge of the cliff, and beautiful views will open up in front of us. Andrew thinks that the Baltic seems like a finite sea, not as endless as others. He says he finds himself aware of the fact that there is land on the other side and half expects to see it somewhere in the distance. I remember that I felt the same way at the Black Sea, and that this was one of the reasons that I liked the Bulgarian coast – because it reminded me a bit of the Baltic.

Rügen, GermanyIn this moment, I don’t think past the horizon, though. I know that everything comes to an end, even the largest ocean, even the longest hour. But this moment is eternal to me.

At the Königsstuhl, we just take a quick glance at the impressive cliff with its peculiar shape.

Königsstuhl, Rügen, GermanyThen we descend to the beach over 412 steps. Downward this might be okay, even though signs warn us everywhere that it will be a good work-out. Being an asthmatic, I am glad I don’t have to do it back up. We now walk all the way back to Lohme down at the beach.

Rügen, Germany

This photo is courtesy of Andrew – that is me wandering off in the distance.

The sounds of pebbles under our feet. The occasional scream of a seagull, maybe. The wind. The waves. The colours of the pebbles are white, grey, black and occasionally red. The sea is blue and grey. So is the sky. The cliffs are bright white. Occasionally there is a fallen tree, dead. Sometimes a bit of green emerges. I feel thrown back to the very basics of my being. Unobtrusive colours and sounds that make up for lack of excitement in intensity. Everything feels huge. Loud and vast and wide.

Rügen, Germany

My stone, Rügen, Germany

My stone

There is one tree trunk packed with stones and pebbles that people must have left there as though it were a tombstone on a Jewish cemetery. Andrew picks up a medium sized rock, I choose a smaller pebble, and we place them in the midst of the collection. It looks like a beautiful work of art. I feel great at the thought that we have left our tiny man made sign in this place.

 

Andrew's stone, Rügen, Germany

Andrew’s stone

Once again, I think of Caspar David Friedrich. His pictures show humans in the face of the vastness of the world, they teach us humility. I was right in anticipating the feeling of his art to come into my heart. I felt small and humble in the face of nature’s greatness today. For a great intro to the most famous painting of the chalk cliffs, check this youtube video.

 

Kreta

Aufstehen um 3 Uhr nachts. Taxi zum Flughafen um 4. Für diese Reiseplanung sind eindeutig meine Eltern verantwortlich. Es ist noch stockduster, als wir – das sind meine Eltern, meine Schwester Malaika und ich – das Abflugterminal erreichen. Nach dem Check-In haben wir noch viel Zeit. Ich suche einen Raucherbereich und finde einen vielleicht sechs Quadratmeter großen Glaskasten. Von außen sehen die Raucher darin aus wie Fische in einem Aquarium. Von innen ist es eine ganz fidele Gesellschaft, die sich hier versammelt hat. Ein Mann mittleren Alters von sicherlich 1,95m Körpergröße betritt den Glaswürfel kurz nach mir, und der Unterhaltungsfaktor steigt schlagartig. Er erklärt der ganzen Mannschaft mit einem südeuropäischen Akzent – italienisch vielleicht? – im Brustton der Überzeugung, dass wir Raucher mit der Tabaksteuer den Terrorkampf finanzieren und außerdem für die Rettung der deutschen Wirtschat verantwortlich sind, weil wir früher sterben und den Staat daher keine Rente kosten. Die Begegnung hebt meine Laune enorm, die Müdigkeit weicht einem stillen Amüsement und der Vorfreude auf Griechenland.
In Heraklion angekommen wird mir meine ambivalente Einstellung zum Fliegen klar. Ich mag das seltsame Ziehen im Bauch, wenn der Flieger abhebt. Mir ist immer, als bliebe ein Stück von mir am Boden, und ich stelle mir gerne vor, dass ich das zurücklasse, was mich gerade belastet. Mich fasziniert es, wenn ich aus dem Fenster schaue und Wolken nicht über mir, sondern unter mir sehe. Aber ich mag das Ankommen nicht. Es ist mir zu schnell, zu plötzlich. Mit Bus und Bahn kann ich erfassen, wie ich eine Distanz zurücklege. Ich bringe Abstand zwischen mich und den Ort, von dem ich aufgebrochen bin. Wenn ich in ein Flugzeug steige, verbringe ich nur ein paar Stunden in einem hermetisch abgeriegelten Raum und bin dann auf einmal da wo ich hin will, in der Regel ganz wo anders. Das überfordert mich ein bisschen. Ich habe jedoch hier in Heraklion gegen einen massiven Unterschied zum verregneten Hamburg nichts einzuwenden: Die Sonne scheint und es ist geradezu brüllend heiß. Am Busbahnhof ziehe ich mir die Jeans aus, die ich unter meinem Rock getragen habe.

Über Vrisses fahren wir mit dem Bus nach Chora Sfakion. Weiße und lila Bougainvilleas fallen ausladend von Balkons und Flachdächern an Häuserwänden herunter, um sich auf dem staubigen Boden auszubreiten wie Teppiche. Am diesigen Horizont liegen die Berge wie voreinandergeschichtet in schwarzen Silhouetten. Sie sehen aus wie das Titelbild zu einem Phantasy-Roman. Endlich das Meer – weit und blau, wie es nur das Mittelmeer ist. Von Chora Sfakion an der Südküste Kretas nehmen wir die Fähre nach Loutro.

Wir sind in einer entzückenden Pension untergekommen, in der meine Eltern schon einmal vor zwei Jahren waren. Sie liegt an demjenigen Ende der Bucht, die am weitesten vom Fähranleger entfernt ist. Wir stapfen die Uferpromenade entlang und laufen dabei quasi durch jedes einzelne Restaurant in dem kleinen Örtchen hindurch. In Loutro gibt es keine Straße und keine Autos. Nur weiße Häuser mit blauen Türen und Fensterrahmen kuscheln sich an den Hang, verbunden von Treppen mit unregelmäßig hohen Stufen und kleinen Kopfsteinpflastergässchen. Von unserem Balkon können wir alles überblicken, was es hier gibt. Das ist vor allem: Meer. Auf der Fährfahrt war das Meer auf der Landseite preußisch blau, seewärts war es silberglitzernd. Nun vom Balkon aus ist es zum Strand hin türkis oder dunkelgrün, zum Horizont hin funkelt es rosarot dem Sonnenuntergang entgegen.
Meine Schwester Martina kommt einen Abend später in Loutro an. Nun sind wir komplett. Am Morgen darauf wandern wir zu fünft eine Stunde an der Küste entlang zum Strand von Glyka Nera. Ich wundere mich über seltsame Knollen im Boden, auf die ich ständig aus Versehen drauftrete und die aussehen wie getrocknete Rosenblüten.
Mami erklärt mir, dass es sich dabei um Meerzwiebeln handelt und zeigt mir eine, die schon keimt. Ihr Stengel schnellt ehrgeizig empor und sieht mit seiner lustigen Spitze aus wie ein kleines Minarett. Am Weg wächst auch Lavendel, den ich zwischen den Fingern zerreibe. Ich muss an Piran in Slowenien denken, wo der Duft von frischer Pfefferminze überall durch die kleinen Straßen zog. Abgesehen von dieser spärlichen Vegetation ist die Landschaft ausgesprochen karg. Die Steilküste ragt abweisend und graubraun neben uns gen Himmel. Umso intensiver ist die Farbe des Meeres.
Glyka Nera bedeutet Süßes Wasser. Hier fließen kalte Süßwasserquellen ins Mittelmeer, und wenn ich schwimmen gehe, werde ich immer wieder unvorbereitet von kalten Strömungen erfasst, die ein Stück unter der Wasseroberfläche ihr Unwesen treiben. Ich lese wie eine Wahnsinnige, trinke nachmittags einen Frappé in dem kleinen Strandcafé, unterhalte mich zwischendurch ein bisschen mit meinen Schwestern und schaue auch einmal einfach nur auf das Meer und lasse meine Gedanken schweifen. Ich war schon einmal mit meiner Familie auf Kreta, 1994. Hier mit allen am Strand zu liegen kommt mir so vertraut vor, dass ich versucht bin zu denken, es hätte sich fast nichts verändert. Meine Haare locken sich viel mehr als gewöhnlich, das liegt am Salzwasser. Sie fallen mir widerspenstig ins Gesicht. Meine Haut ist braun und duftet nach Salz und Sonnencreme. Familienurlaub wie immer. Aber ganz anders.
Morgens frühstücken wir auf dem Balkon griechischen Joghurt mit Honig und Tomatenbrot mit Feta. Abends gehen wir an der Uferpromenade essen. Wir bestellen jedes Mal vorweg einen Choriatiki (griechischen Salat aus Gurke, Tomate, Paprika, Oliven und Feta-Käse), einen Tzatiki, einmal Dakos (eine Art griechische Bruschetta: Tomate auf doppelt gebackenem harten Brot mit Fetakäse) und einen Saganaki (gebackenen Fetakäse) und hinterher verschiedene Hauptgerichte. Jeder isst bei jedem mit.
Wir wandern durch die Imbros-Schlucht. Da ein leichter Wind weht und die Felswände viel Schatten spenden, ist das ein herrliches Erlebnis. Das Gestein ist lustig gemustert, unterschiedlich farbige Schichten malen Streifen auf die Steine, als hätte jemand dort nachgeholfen. Hier blühen auch die Meerzwiebeln schon. Ihre weißen Blütenkerzen erinnern sehen bescheiden und schüchtern aus. Am Grunde der Schlucht gibt es auch immer wieder Bäume, der Weg ist deutlich abwechslungsreicher als der nach Glyka Nera. Man kann deutlich sehen, dass man in einem Flussbett wandert, mächtige Wackersteine lösen kleine Kiesel ab und ich stelle mir vor, wie hier ein fröhlicher Gebirgsbach zu einem reißenden Strom wird und sich seinen Weg bahnt ohne Rücksicht auf Verluste. Mitunter liegt ein Baumstamm quer, ausgetrocknet. Jeder noch so kleine Wassertropfen würde vermutlich gierig von dem toten Holz verschlungen werden, und brennen würde es wie Zunder. Es hat einen eigentümlichen Geruch. Am Ende der Schlucht besteigen wir einen Wagen, der uns nach Chora Sfakion zur Fähre zurückbringt. Wir sitzen auf der Ladefdläche und lassen uns auf der Serpentinen-Straße den Wind um die Nase wehen.
Der Weg nach Marmara gestaltet sich unbequemer. Die Sonne brennt, und der Untergrund ist uneben und muss nicht selten erklettert werden. Malaika und ich entscheiden uns an einer Weggabelung für den vermeintlich einfacheren Weg – sie wegen ihrer Schwangerschaft, ich wegen meines Asthmas. Laut Mami ist es ganz einfach: immer geradeaus und dann sieht man schon den Wanderweg. Wir landen nach einer Weile „immer geradeaus“ am oberen Ende einer steilen Felswand. Wir sind auf den Rand der Aradena-Schlucht gestoßen. Hinunter geht es hier auf keinen Fall, in den Abgrund zu schauen löst einen gewissen Nervenkitzel bei mir aus. Es geht so jäh und radikal nach unten, die Kante ist geradezu scharf. Um die Felsen, auf denen wir stehen, spielt roter Sand, die Schlucht wirkt ungezähmter, wilder als die Imbros-Schlucht. Wir müssen zurück und finden mit ein paar anderen Wanderern gemeinsam den versteckten Wanderweg zurück zum Meeresstrand.
In der Marmara-Bucht – Marmorgestein, weiß und glatt gespült von den Wellen. Der Strand ist schwarz, darauf zu laufen tut an den Füßen weh, weil die Kiesel heiß und unförmig sind. Schwimmt man an der Küste entlang findet man winzige Einbuchtungen, die das Meer ins Gestein geformt haben muss. Wenn Wellen dort anschlagen, hört man nicht nur das Geräusch des Wassers, sondern auch das Klirren von Kieseln, die vom Wasser an den Stein geschleudert werden und mit dem Zurückweichen der Welle langsam wieder Richtung Meeresgrund rieseln. Einzelne Wolken werfen riesige Schattenungetüme auf die Berge der Steilküste.
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Ich muss eine Weile allein sein und spaziere in Loutro zum Fähranleger und darüber hinaus zur kleinen Ruine am Ende der Bucht. Ich bemerke, dass es mir schwerer fällt, zu beobachten, welche Wirkung ein Ort auf mich hat, wenn vertraute Menschen um mich sind, selbst wenn wir nicht reden. Ich sitze dort auf den Felsen und fühle, wie meine gebräunte Haut warm ist von der Sommersonne, genau wie die weißen staubigen Felsen auf denen ich sitze. Wo die Steine nass sind, sind sie schwarz, umspült von Gischt. Der Horizont bildet eine Linie, die gleichzeitig gerade und rund ist. Ein kleines gelbes Kajak treibt als Farbtupfer an mir vorbei. Meine Eltern haben uns beigebracht, solche Orte zu lieben.

Vukovar / Novi Sad / Belgrad / Novi Pazar / Višegrad

Aus Sarajevo geht mein Zug morgens ganz frueh nach Vukovar. Ich bin noch so erschlagen von den vielen Eindruecken, dass mir so ein ganzer Tag in Zuegen und Bussen ganz gut zupass kommt. In Vukovar dauert die Suche nach einer Unterkunft eine Weile, und mein Rucksack wird immer schwerer, und der Himmel immer grauer, und die Stadt ist von einer eindrucksvollen Mischung aus Traurigkeit und Lebensfreude gepraegt – traurig die Haeuserskelette, die Einschussloecher an fast jedem Gebaeude, der Blick durch leere Fensterrahmen in zerstoerte Raeume, in denen die Tapete an den Waenden noch zu erkennen ist; lebensfroh die Menschen, die in schicken kleinen Laeden Kaffee trinken und sehr hilfsbereit und gut gelaunt sind, wenn ich nach dem Weg frage. Ich denke an Erich Kaestners „Das fliegende Klassenzimmer“ und das schoene Zitat: „Das waere doch gelacht, dachte Jonathan Trotz, wenn das Leben nicht schoen waere.“ So kommen mir die Menschen hier vor. In Bosnien war das ganz aehnlich.

Nach der Nacht in Vukovar reise ich weiter nach Novi Sad. Die Passkontrollen sind jetzt langsam Routine geworden und nicht mehr so aufregend. Ich finde es jetzt eher bemerkenswert, wie einfach das alles geht und wie schnell. Die serbische Polizistin guckt nur ein bisschen komisch, aber vermutlich ist ihr Grenzuebergang einfach nicht der touristisch frequentierteste. In Novi Sad finde ich schon wieder nicht gleich den Weg, ich fahre einmal mit dem Bus um die ganze Stadt herum. Nun gut, da hab ich wenigstens schonmal ein bisschen was gesehen. Es giesst in Stroemen, die Strasse, in der mein Gastgeber Lazar wohnt, steht voellig unter Wasser, ich muss durch verschiedene Vorgaerten klettern. Einmal angekommen bekomme ich aber Kaffee und Musik und nette Gesellschaft. Ich sitze mit drei Serben und einer Bulgarin bis nachts um 4 beim Rotwein. Ich singe ein bisschen was aus unserem Volksliedprogramm und sowohl mein Kroatisch als auch mein Bulgarisch sind angeblich nahezu akzentfrei. Das beschraenkt sich sicherlich auf die Lieder, aber es ist schoen zu wissen, dass die Anlagen fuer die Sprachen anscheinend vorhanden sind.
Am naechsten Tag erkunde ich Novi Sad. Die Stadt erinnert tatsaechlich wieder mehr an Ungarn, wie es hier in der Vojvodina ja auch zu erwarten ist. Das Wetter ist wunderbar und die Strassen sind voller Musik, ich hoere aus verschiedenen Haeusern Menschen Klavier und Gesang ueben. Die grosse Synagoge fasziniert mich besonders. Nachmittags lasse ich mir in einem alterntiv/hippen Laden, wie er auch in Berlin in Friedrichshain zu finden waere, die Haare schneiden. Der gute Mann schnippelt liebevoll anderthalb Stunden an meinem Kopf herum und unterhaelt mich dabei auch noch glaenzend, so lange war ich glaube ich noch nie beim Friseur, und am Ende zahle ich nur laecherliche 9 Euro. Anschliessend klettere ich auch auf das Schloss hoch. Die Sonne scheint, ich trinke einen Kaffee und fuehle mich langsam etwas erholt.

Der naechste Tag ist aber schon wieder so aufregend: Morgens frueh brechen wir auf zu einer Wanderung im Fruška Gora Nationalpark. Ein herrlicher tiefer gruener Wald und Hoehenunterschiede von bis zu 300 Metern zwischen den Stationen machen das ganze Projekt ziemlich anspruchsvoll – an diese Stellen komme ich aber nicht, weil es nach 10 Kilometern anfaengt zu regnen und ich mich einem Maedchen anschliesse, das in die Stadt zuruecktrampen will. Abends kommen wieder verschiedenste Nationalitaeten in Lazars Wohnung zusammen: Serbien, Schweden, Frankreich und Russland sind vertreten, und wir singen wieder bis nachts um 3.

Langsam gehen meine Energie-Reserven zur Neige, und deswegen ist es genau das Richtige fuer mich, was mich in Belgrad erwartet: eine entzueckende Gastgeberin mit einer gemuetlichen Wohnung, in der meine Schlafcouch vor dem Fernseher steht, dazu herrliches Wetter fuer entspannte Spaziergaenge durch die weisse Stadt. Wir schlafen abends frueh ein und wachen morgens spaet auf. Saška verbietet mir, Geschirr zu spuelen oder ihr beim Kochen zu helfen, das ist serbische Gastfreundlichkeit. Mir ist das ein bisschen unangenehm, aber da ich gegen ihre Bestimmtheit ohnehin keine Chance habe, kann ich es auch einfach geniessen.
Belgrad ist eine richtige Grossstadt und hat als solche viel zu bieten, und es macht Spass, sich von Saškas Begeisterung anstecken zu lassen. Sie ist sehr stolz auf ihre Stadt und ihr Land. Wir sitzen lange auf der Schlossmauer mit einem herrlichen Blick auf Donau und Sava.


Hier sitzen wir und sprechen ewig – über Kosovo. Dabei macht sich bemerkbar, dass es sich bei Politik in Serbien tatsaechlich um ein viel komplizierteres Thema handelt als in jedem anderen Land, in dem ich jemals war. Besonders die Kosovo-Frage ist heikel, und Diskussionen darueber gestalten sich schwierig, denn ich habe kein historisches und politisches Vorwissen, was die ganze Angelegenheit angeht. Schon in Novi Sad treffe ich auf Betroffenheit und Unverstaendnis, was Kosovos Unabhaengigkeit betrifft, und es scheint, dass das Land diesen Zug Kosovos niemals akzeptieren wird. Es geht dabei viel um serbisches kulturelles Erbe in der Region Kosovo und um die schlechte Behandlung der Serben durch die Albaner. Das Unrecht, dass die Serben ausgeuebt haben, wird eingeraeumt, aber schnell dadurch relativiert, dass die andere Seite auch verbrecherisch gehandelt hat. Ein besonderes Schuldbewusstsein ist nicht da. Mit meinem deutschen Hintergrund, der mir die kollektive Nationalverantwortung fuer die Verbrechen des Holocausts auf so vielfaeltige Weise eingetrichtert hat, ist mir das sehr fremd. Das Nationalbewusstsein ist hier einfach ganz anders. Das zeigt sich in vielfaeltiger Form: Ich mache in Belgrad auch Photos von den Regierungsgebaeuden, aber ein Polizist kommt auf uns zu und erklaert, dass Photographieren hier verboten ist und ich muss das Bild wieder loeschen. Ich bin jetzt ehrlich umso gespannter auf Kosovo, denn mich interessiert doch vor allem, was die Menschen zur Unabhaengigkeit sagen, die da leben.

Nach Belgrad steht Novi Pazar auf dem Programm. Ich finde es relativ unspektakulaer dafuer, dass so viel Wirbel um den grossen tuerkischen Einfluss und die lebendige islamische Kultur dort gemacht wird. Mir faellt nur auf, dass Maedchen mit Kopftuch eher unter sich zu bleiben scheinen und Maedchen ohne Kopftuch auch. In Sarajevo kam mir das gemischter vor, aber vielleicht erwarte ich auch nur Segregation in Serbien und sehe deswegen Gespenster?
Von Novi Pazar fahre ich nach Studenica zum Kloster. Die Kapelle ist eine der schoensten, die ich je gesehen habe.

Dorthin zu gelangen ist auch nicht ohne, oeffentlicher Nahverkehr ahoi, ein Auto waere hier wirklich praktischer. Dafuer ist es nicht ueberlaufen, sondern einfach huebsch. Die Nacht verbringe ich in Užice bei einer Couchsurferin, abends gehen wir zu einem kleinen lokalen Filmfestival und sehen einen Film ueber Militaerkoeche seit dem Zweiten Weltkrieg, hochinteressant!

Und schon wieder weiter, zurueck nach Bosnien. Heute Višegrad – und ich kann es genau so einrichten, wie ich gerne wollte: Ich sitze auf der Bruecke ueber die Drina auf der Kapia (wer das Buch kennt, weiss, was das ist) und lese die letzten Seiten in Ivo Andrićs Meisterwerk. Die Stadt ist klein und beschaulich, nicht besonders huebsch, aber die Bruecke ist gigantisch sowohl im Ausmass als auch betreffs der Schoenheit, und die Drina ist gruen und maechtig.

Anschliessend mache ich Station in Sarajevo bevor es zurueck nach Mostar geht, wo ich mich nochmal zwei Tage erholen werde. Ich freue mich schon auf das Hostelpersonal und die Stadt. Danach steht Dubrovnik auf dem Programm, ich muss jetzt auch mal wieder an die Kueste und frischen Seewind atmen und schwimmen gehen und braun werden, um die Batterien aufzuladen.