bruecken_schlag_worte

Brückenschläge und Schlagworte

Schlagwort: homesick

Back to Wrocław

Diesen Post gibt es auch auf Deutsch!

The train from Berlin to Wrocław goes through, I don’t need to change. As we are approaching the Polish boarder, we are entering Slavic lands while still in Germany: In a small train station a sign reads „Lübbenau (Spreewald)“, and another one: „Lubnjow (Błota)“ – the first is German, the second is Sorbian. The Sorbians are a Slavic minority in the Lusatia area in the easternmost corner of Germany. The letter ł on the Sorbian sign – it exists in Polish too, and it puts a smile on my face. I note down some of my thoughts in my journal. As soon as we have crossed into Poland, the train tracks are bumpier, I can tell from my own handwriting. It jolts and judders across the paper, not  looking like a chain of soft, round little living creatures as it usually does, but edgy like staples or tiny wires.

20130103-004735.jpg

Outside of the windown I see Lower Silesia pass me by. I entered this part of the world for the first time almost exactly six years ago. I’m trying to remember that day, but I can’t unearth too much from the depths of my memory. Back then I felt homesick for the first, maybe the only time in my life, and that feeling cast a shadow on so many things. It envelopped me in a large black veil that kept excitement and anticipation from coming to me like they usually do when I start a trip to the great unknown. The notion of „cudne manowce“ comes to my mind, an expression from a song by the iconic Polish poet and songwriter Edward Stachura. It means something like „the enchanting astray“. My co-worker Renata says that it can’t really be translated to German, because for the efficient and pragmatic people that we are, the astray can never be enchanting. If that is true, I’m afraid I’m not very German after all.

Now I’m looking at little villages with their Prussian architecture train station buildings and their white town hall towers reaching toward the skies with square-cut pinnacles in Tudor styled architecture. They look just like they do in Ziemia Kłodzka, which is the area I was on my way to back then, and I cannot believe that it is only – or already – six years lying between the person I am today and the person I was then.

When the train arrives at the main station in Wrocław, I can’t at first glance piece together where I am and what I am seeing. Everything is new, everything is different. The station building has been painted bright orange.

20130103-004752.jpg

Ther concourse is light and spatious. Everything has been renovated for the football Euro Cup last June. My memory paints such a different picture – a dark, manky hellhole with rude and unfriendly elderly ladies in the ticket boxes, and myself feeling panickstricken when one night I almost didn’t get a ticket for the night train to Szczecin and thought I’d have to spend the night on the cold and smelly platform.

20130103-004848.jpg

In the crossing underneath the platforms there used to be many kiosks and food stands – they are all gone, instead there are high tech lockers and everything is smooth and evenly tiled. I wonder what might have happened to the people who used to work in those little shops?

20130103-004809.jpg

This is not the same place. Everything is signposted – and what’s more, bilingually so! I wish I had some of the people with me who think of Poland as backwards, grey, ugly and cheap. They would not believe their own eyes.

Two days later my train is leaving the main station in Wrocław. My seat is rear-facing and so I look straight ahead as the large orange building is moving away from me.  In this moment I have the paradoxical feeling of looking aback and ahead at the same time –  back to the place I am leaving right now, and that I’m missing already in a feeling of reverse homesickness. And ahead to my future that may just be so kind as to gift me with a new Polish adventure, one without feeling homesick for Germany; to a future that may grant me to understand this country better, to explore it, and with any luck even to participate in shaping it in some way.

Why do I love Poland? I have no idea. Isn’t it the purest love that doesn’t require any explanation?

Zurück nach Wrocław

This post can also be read in English!

Der Zug von Berlin nach Wrocław fährt direkt, ich brauche nicht umzusteigen. Schon im Spreewald beginnt das Land der Slawen – Lübbenau (Spreewald), steht auf dem einen Schild am Bahnhof, und auf dem anderen steht Lubnjow (Błota) – das ł im Sorbischen zaubert mir ein Lächeln aufs Gesicht. Ich notiere mir Gedanken in mein Notizbuch. Kaum sind wir hinter Grenze, schon ist die Strecke unebener, man sieht den Unterschied an meiner Schrift, sie ruckelt und krakelt sich über das Papier nicht wie sonst als weiche runde Tierchen, sondern eckig wie Heftklammern oder kleine Drähte.

20130103-004735.jpg
Vor dem Fenster zieht die niederschlesische Landschaft vorbei. Vor fast genau sechs Jahren bin ich zum ersten Mal in diesem Winkel der Welt gewesen. Ich versuche mich daran zu erinnern, aber viel kann ich nicht aus den Untiefen meines Gedächtnisses hervorkramen. Ich habe damals das erste, vielleicht das einzige Mal in meinem Leben Heimweh empfunden, und das hat vieles überschattet. Es hat einen schwarzen Schleier um mich gelegt, der die Aufregung und die Vorfreude verhindert hat, die ich sonst auf dem Weg in das große Unbekannte stets empfunden habe. Die „cudne manowce“ kommen mir in den Sinn, aus einem Lied des polnischen Kultdichters Edward Stachura. Das bedeutet so etwas wie „zauberhafte Abwege“. Meine Kollegin Renata sagt, man kann das kaum übersetzen, weil Abwege für die effizienten und pragmatischen Deutschen niemals zauberhaft sind. Wenn das so ist, bin ich wohl wirklich nicht besonders deutsch.
Nun blicke ich auf kleine Dörfer, deren Bahnhofsgebąude so häufig preußisch aussehen und aus denen weiße Rathaustürme hervorragen, die von eckigen Zinnen geziert sind, im Tudor-Stil. Sie sehen genauso aus wie im Glatzer Land, in der Ziemia Kłodzka, wohin ich damals unterwegs war, und ich kann nicht fassen, dass mich nur oder schon sechs Jahre davon trennen sollen, wer ich zu jener Zeit gewesen bin.

Als ich nun zum ersten Mal nach vielen Jahren wieder in den Hauptbahnhof in Wrocław einfahre, bringe ich zuerst gar nicht zusammen, wo ich mich befinde und was ich vor mir sehe. Alles ist neu, alles ist anders. Das Bahnhofsgebäude ist in leuchtendem Orange gestrichen.

20130103-004752.jpg

Die Bahnhofshalle ist hell und hoch und verglast. Zur Europameisterschaft 2012 ist alles renoviert worden. Ich erinnere mich an eine dunkle, siffige Hölle, an unfreundliche ältere Damen hinter den Schaltern, an meine leichte Panik, als ich einmal beinahe kein Ticket für den Nachtzug nach Stettin mehr bekommen hätte und mich schon eine Nacht allein auf dem zugigen, muffigen Bahnsteig verbringen sah.

20130103-004848.jpg

In der Unterführung zu den Gleisen hin waren früher zahlreiche kleine Kiosks und Imbissbuden – sie sind alle verschwunden, stattdessen sind Schließfächer angebracht und alles ist glatt und edel gefliest. Was wohl aus den Betreibern der kleinen Lädchen und Büdchen geworden ist?

20130103-004809.jpg
Es ist nicht mehr der gleiche Ort. Alles ist ausgeschildert, alles ist mehrsprachig. Ich wünschte, ich hätte jetzt einige von den Menschen an meiner Seite, die sich Polen als rückständig, grau, hässlich und billig vorstellen. Ihnen würden die Augen aus dem Kopf fallen.

Ich fahre zwei Tage später rückwärts aus dem Hauptbahnhof in Wrocław hinaus und schaue geradeaus aus dem Fenster dabei zu, wie das große orangefarbene Gebäude sich von mir entfernt. In diesem Moment habe ich das paradoxe Gefühl, gleichzeitig zurück und nach vorn zu schauen – zurück auf den Ort, den ich jetzt gerade verlasse und nach dem ich mich jetzt schon wieder sehne in einem umgekehrten Heimweh. Aber doch auch nach vorn in meine Zukunft, die mir hoffentlich ein neues polnisches Abenteuer schenken wird, eines ohne Heimweh nach Deutschland; die Zukunft, die mir vielleicht erlauben wird, dieses Land weiter zu begreifen, zu erkunden, und mit sehr viel Glück sogar gestattet, es mitzugestalten.

Woher meine Liebe zu Polen rührt? Ich weiß es nicht. Und ist nicht die reinste Liebe die, die keiner Erklärung bedarf?