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Brückenschläge und Schlagworte

Schlagwort: Serbia (Seite 2 von 2)

Anekdoten aus Serbien und Herzegovina

Ich fahre im Bus von Kraljevo nach Užice. Der Bus ist ziemlich voll und entgegen meiner sonstigen Gewohnheiten habe ich keinen Fensterplatz. Neben mir sitzt ein irgendwie altersloser Mann mit gegerbtem Gesicht. Vielleicht ist er schon 75. Vielleicht ist er auch erst 50 und hat in seinem Leben viel und schwer gearbeitet und gekaempft. Er hoert, wie ich vom Busfuehrer mein Ticket kaufe und verzieht kaum eine Mine zu meinen broeckeligen Versuchen, serbisch zu sprechen.
Gegen Ende der Fahrt kommt ein junger Mann aus dem vorderen Teil des Busses nach hinten und unterhaelt sich ueber meinen Kopf hinweg angeregt mit meinem Nachbarn. Ich beachte das zunaechst nicht weiter, sondern doese nur gemuetlich vor mich hin. Schliesslich merke ich, dass er ueber mich spricht. Mein Nachbar sagt zu ihm auf serbisch: „Sie versteht dich nicht.“ Ich nicke und bestaetige: „Ich verstehe nicht.“ Aber manche Menschen sind ja hartnaeckig. Ich unterhalte mich schliesslich fast eine Stunde mit dem Kerl auf serbisch. Das beinhaltet von meiner Seite ziemlich viel „Ne razumijem!“ („Ich verstehe nicht!“) und „Šta?“ („Was?“) und mit Sicherheit tausend gruselige Fehler, Kroatismen, Polonismen und Germanismen, aber ich kann ihm irgendwie verstaendlich machen, wer ich bin und was ich hier und zuhause tue. Mein Gespraechspartner, Damir heisst er, ist aber auch sehr geduldig, und es soll sich zeigen warum: Serbien sei kein gutes Land, Arbeit zu finden sei schwer, das Geld sei zu wenig; Deutschland dagegen – ein Land wo Milch und Honig fliessen, er wolle dorthin auswandern, aber man brauche da diese Papiere, und ein deutscher Staatsbuerger muesse fuer einen buergen, und langer Rede kurzer Sinn, ich koenne das doch eigentlich fuer ihn uebernehmen. Praktisch, dass ich mich wieder auf mein „Ne razumijem“ verlassen kann.Ich bleibe schliesslich noch fuenf Tage in Mostar haengen und bin voellig verliebt in die Stadt und ganz Herzegovina. Auch heute morgen kann ich mich kaum dazu durchringen die Stadt zu verlassen ohne mir selbst zu versichern, dass ich wiederkommen werde. Ich muss wieder dorthin, um besser zu begreifen, wie der Konflikt zwischen den verschiedenen Nationalitaeten und Religionen weiter schwelt. Gestern war ich mit zwei Amerikanerinnen in einer ausgebombten Bank in Mostar, die im Krieg als Hort fuer Scharfschuetzen benutzt wurde, im „Snipers‘ Nest“. Die Ruine steht direkt an der Frontlinie. Ueberall liegen rostige Patronenhuelsen, und die kaputten Fensterscheiben sind ueber den Boden verteilt, sogar Moebel und Akten sind noch im ganzen Gebaeude aufzufinden. An den Waenden prangen grosse Grafittis von Unterstuetzern der kroatisch-nationalistischen Szene. Wenn man das Stadtpanorama betrachtet, faellt das grosse Kreuz ins Auge, dass die Kroaten auf einem Berggipfel errichtet haben, von dem aus sie im Krieg dynamitgefuellte Traktorreifen auf die Stadt haben rollen lassen. Das „Snipers‘ Nest“ ist ein symboltraechtiger Ort, er zeigt viel von Geschichte und aktueller Situation in Mostar.

An einem Tag in Mostar fahre ich mit Aasa, einer Kanadierin, die im Hostel arbeitet, zurueck nach Blagaj zur Tekke. Wir wollen auf die dortige Burg klettern. Im Ort fragen wir nach dem Weg, der aeltere Herr im Souvenierladen erwaehnt Stein, ich verstehe aber nicht alles, na gut. Wir kommen an eine Kreuzung, da ist ein Schild: Betreten nur mit Helm und Stahlkappenstiefeln erlaubt. Also den anderen Weg, der schnurgerade nach oben fuehrt, mit Felsbrocken und Kieseln bedeckt ist, steil und und ein bisschen gruselig aussieht. Da liegt ein dickes Drahtseil, wir ziehen uns ein bisschen daran hoch. Oben auf der Burg treffen wir auf eine Horde Bauarbeiter. Die lachen sich tot. Sie sagen: „Aber da drueben ist ein Pfad!“ Wir sagen: „Naja, das wussten wir nicht…“ Wir fragen ob wir trotz Bauarbeiten die Festungsruine anschauen durefen. Ein Bauarbeiter sagt einen langen Satz, am Ende faellt das Wort „…pada!“ Ich sage zu Aasa: „It’s falling down.“ Aasa sagt: „Great!“ Und wir stuermen die Festung. Aasa bemerkt nuechtern: „I just realized how ridiculous it is that we thought we couldn’t take the regular path but decided instead to climb that steep slope that probably every normal person with common sense would recognize without a sign to be too dangerous to be used!“ Der Blick ins Tal ist unbezahlbar und die Bauarbeiter schliessen uns umgehend ins Herz und zeigen uns das ganze Gelaende. Anschliessend verbringen wir zwei stille Stunden in der Tekke. Es ist ein herrlicher herrlicher Tag.

Vukovar / Novi Sad / Belgrad / Novi Pazar / Višegrad

Aus Sarajevo geht mein Zug morgens ganz frueh nach Vukovar. Ich bin noch so erschlagen von den vielen Eindruecken, dass mir so ein ganzer Tag in Zuegen und Bussen ganz gut zupass kommt. In Vukovar dauert die Suche nach einer Unterkunft eine Weile, und mein Rucksack wird immer schwerer, und der Himmel immer grauer, und die Stadt ist von einer eindrucksvollen Mischung aus Traurigkeit und Lebensfreude gepraegt – traurig die Haeuserskelette, die Einschussloecher an fast jedem Gebaeude, der Blick durch leere Fensterrahmen in zerstoerte Raeume, in denen die Tapete an den Waenden noch zu erkennen ist; lebensfroh die Menschen, die in schicken kleinen Laeden Kaffee trinken und sehr hilfsbereit und gut gelaunt sind, wenn ich nach dem Weg frage. Ich denke an Erich Kaestners „Das fliegende Klassenzimmer“ und das schoene Zitat: „Das waere doch gelacht, dachte Jonathan Trotz, wenn das Leben nicht schoen waere.“ So kommen mir die Menschen hier vor. In Bosnien war das ganz aehnlich.

Nach der Nacht in Vukovar reise ich weiter nach Novi Sad. Die Passkontrollen sind jetzt langsam Routine geworden und nicht mehr so aufregend. Ich finde es jetzt eher bemerkenswert, wie einfach das alles geht und wie schnell. Die serbische Polizistin guckt nur ein bisschen komisch, aber vermutlich ist ihr Grenzuebergang einfach nicht der touristisch frequentierteste. In Novi Sad finde ich schon wieder nicht gleich den Weg, ich fahre einmal mit dem Bus um die ganze Stadt herum. Nun gut, da hab ich wenigstens schonmal ein bisschen was gesehen. Es giesst in Stroemen, die Strasse, in der mein Gastgeber Lazar wohnt, steht voellig unter Wasser, ich muss durch verschiedene Vorgaerten klettern. Einmal angekommen bekomme ich aber Kaffee und Musik und nette Gesellschaft. Ich sitze mit drei Serben und einer Bulgarin bis nachts um 4 beim Rotwein. Ich singe ein bisschen was aus unserem Volksliedprogramm und sowohl mein Kroatisch als auch mein Bulgarisch sind angeblich nahezu akzentfrei. Das beschraenkt sich sicherlich auf die Lieder, aber es ist schoen zu wissen, dass die Anlagen fuer die Sprachen anscheinend vorhanden sind.
Am naechsten Tag erkunde ich Novi Sad. Die Stadt erinnert tatsaechlich wieder mehr an Ungarn, wie es hier in der Vojvodina ja auch zu erwarten ist. Das Wetter ist wunderbar und die Strassen sind voller Musik, ich hoere aus verschiedenen Haeusern Menschen Klavier und Gesang ueben. Die grosse Synagoge fasziniert mich besonders. Nachmittags lasse ich mir in einem alterntiv/hippen Laden, wie er auch in Berlin in Friedrichshain zu finden waere, die Haare schneiden. Der gute Mann schnippelt liebevoll anderthalb Stunden an meinem Kopf herum und unterhaelt mich dabei auch noch glaenzend, so lange war ich glaube ich noch nie beim Friseur, und am Ende zahle ich nur laecherliche 9 Euro. Anschliessend klettere ich auch auf das Schloss hoch. Die Sonne scheint, ich trinke einen Kaffee und fuehle mich langsam etwas erholt.

Der naechste Tag ist aber schon wieder so aufregend: Morgens frueh brechen wir auf zu einer Wanderung im Fruška Gora Nationalpark. Ein herrlicher tiefer gruener Wald und Hoehenunterschiede von bis zu 300 Metern zwischen den Stationen machen das ganze Projekt ziemlich anspruchsvoll – an diese Stellen komme ich aber nicht, weil es nach 10 Kilometern anfaengt zu regnen und ich mich einem Maedchen anschliesse, das in die Stadt zuruecktrampen will. Abends kommen wieder verschiedenste Nationalitaeten in Lazars Wohnung zusammen: Serbien, Schweden, Frankreich und Russland sind vertreten, und wir singen wieder bis nachts um 3.

Langsam gehen meine Energie-Reserven zur Neige, und deswegen ist es genau das Richtige fuer mich, was mich in Belgrad erwartet: eine entzueckende Gastgeberin mit einer gemuetlichen Wohnung, in der meine Schlafcouch vor dem Fernseher steht, dazu herrliches Wetter fuer entspannte Spaziergaenge durch die weisse Stadt. Wir schlafen abends frueh ein und wachen morgens spaet auf. Saška verbietet mir, Geschirr zu spuelen oder ihr beim Kochen zu helfen, das ist serbische Gastfreundlichkeit. Mir ist das ein bisschen unangenehm, aber da ich gegen ihre Bestimmtheit ohnehin keine Chance habe, kann ich es auch einfach geniessen.
Belgrad ist eine richtige Grossstadt und hat als solche viel zu bieten, und es macht Spass, sich von Saškas Begeisterung anstecken zu lassen. Sie ist sehr stolz auf ihre Stadt und ihr Land. Wir sitzen lange auf der Schlossmauer mit einem herrlichen Blick auf Donau und Sava.


Hier sitzen wir und sprechen ewig – über Kosovo. Dabei macht sich bemerkbar, dass es sich bei Politik in Serbien tatsaechlich um ein viel komplizierteres Thema handelt als in jedem anderen Land, in dem ich jemals war. Besonders die Kosovo-Frage ist heikel, und Diskussionen darueber gestalten sich schwierig, denn ich habe kein historisches und politisches Vorwissen, was die ganze Angelegenheit angeht. Schon in Novi Sad treffe ich auf Betroffenheit und Unverstaendnis, was Kosovos Unabhaengigkeit betrifft, und es scheint, dass das Land diesen Zug Kosovos niemals akzeptieren wird. Es geht dabei viel um serbisches kulturelles Erbe in der Region Kosovo und um die schlechte Behandlung der Serben durch die Albaner. Das Unrecht, dass die Serben ausgeuebt haben, wird eingeraeumt, aber schnell dadurch relativiert, dass die andere Seite auch verbrecherisch gehandelt hat. Ein besonderes Schuldbewusstsein ist nicht da. Mit meinem deutschen Hintergrund, der mir die kollektive Nationalverantwortung fuer die Verbrechen des Holocausts auf so vielfaeltige Weise eingetrichtert hat, ist mir das sehr fremd. Das Nationalbewusstsein ist hier einfach ganz anders. Das zeigt sich in vielfaeltiger Form: Ich mache in Belgrad auch Photos von den Regierungsgebaeuden, aber ein Polizist kommt auf uns zu und erklaert, dass Photographieren hier verboten ist und ich muss das Bild wieder loeschen. Ich bin jetzt ehrlich umso gespannter auf Kosovo, denn mich interessiert doch vor allem, was die Menschen zur Unabhaengigkeit sagen, die da leben.

Nach Belgrad steht Novi Pazar auf dem Programm. Ich finde es relativ unspektakulaer dafuer, dass so viel Wirbel um den grossen tuerkischen Einfluss und die lebendige islamische Kultur dort gemacht wird. Mir faellt nur auf, dass Maedchen mit Kopftuch eher unter sich zu bleiben scheinen und Maedchen ohne Kopftuch auch. In Sarajevo kam mir das gemischter vor, aber vielleicht erwarte ich auch nur Segregation in Serbien und sehe deswegen Gespenster?
Von Novi Pazar fahre ich nach Studenica zum Kloster. Die Kapelle ist eine der schoensten, die ich je gesehen habe.

Dorthin zu gelangen ist auch nicht ohne, oeffentlicher Nahverkehr ahoi, ein Auto waere hier wirklich praktischer. Dafuer ist es nicht ueberlaufen, sondern einfach huebsch. Die Nacht verbringe ich in Užice bei einer Couchsurferin, abends gehen wir zu einem kleinen lokalen Filmfestival und sehen einen Film ueber Militaerkoeche seit dem Zweiten Weltkrieg, hochinteressant!

Und schon wieder weiter, zurueck nach Bosnien. Heute Višegrad – und ich kann es genau so einrichten, wie ich gerne wollte: Ich sitze auf der Bruecke ueber die Drina auf der Kapia (wer das Buch kennt, weiss, was das ist) und lese die letzten Seiten in Ivo Andrićs Meisterwerk. Die Stadt ist klein und beschaulich, nicht besonders huebsch, aber die Bruecke ist gigantisch sowohl im Ausmass als auch betreffs der Schoenheit, und die Drina ist gruen und maechtig.

Anschliessend mache ich Station in Sarajevo bevor es zurueck nach Mostar geht, wo ich mich nochmal zwei Tage erholen werde. Ich freue mich schon auf das Hostelpersonal und die Stadt. Danach steht Dubrovnik auf dem Programm, ich muss jetzt auch mal wieder an die Kueste und frischen Seewind atmen und schwimmen gehen und braun werden, um die Batterien aufzuladen.

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